Ich geb’s zu – ich liebe es in Badezimmerschränke zu schauen. Ja, ich weiß, das ist neugierig, übergriffig, nicht akzeptabel. Ich schäme mich. Aber – ich bemühe mich, meine voyeuristische Angewohnheit in den Griff zu bekommen. Aber vielleicht sollte ich sowieso von Badezimmer zum Kühlschrank wechseln: „Wenn man wirklich mehr über eine Person wissen will, sollte man nicht in ihren Spiegelschrank im Bad, sondern in ihren Kühlschrank schauen. Diese frostigen Zeitkapseln sind Gucklöcher in unsere Lebensumstände und unsere Persönlichkeit“, heißt es im Vorwort des vorliegenden Werkes.
40 Spitzenköche mit insgesamt 60 Michelin-Sternen öffnen ihre Kühlschränke in dem hochwertigen Coffee-Table-Book. Frei nach dem Motto „Zeige mir deinen Kühlschrank und ich sage dir, wer du bist.“ dürfen wir auf 326 Seiten unter anderem bei Yotam Ottolenghi, Magnus Nilsson und Douce Steiner einen Blick in den Kühlschrank werfen.
Einige Köche kenne ich – viele aber auch nicht. Und dennoch macht das Anschauen der ganzseitigen Fotografien mit detaillierter Beschriftung richtig Spaß, auch bei den mir fremden Köchen. Dazu bekommt der Leser eine kurze Info zu privaten Lebensumständen, einen kulinarischen Steckbrief und zwei Rezepte, die der Koch gerne privat kocht. (Foto links: Kühlschrank von Magnus Nilsson.)
Wer täglich Schäumchen schlägt, hat Zuhause eher Lust auf Handfestes!
Daniel Achilles (Restaurant Reinstoff, Berlin, 2 Michelin-Sterne) hat u.a. bei Juan Amador gelernt und seine kulinarische Handschrift ist als Avantgarde zu bezeichnen. Es ist erstaunlich, wie bodenständig sein Kühlschrankinhalt daher kommt: Karotten, Bratwürste, Kartoffeln und Eier. Das Verrückteste ist die noch die Soja Sauce: „Eine Flasche Kikkoman hat im Lauf der Jahre mehrere Umzüge mitgemacht und wurde nie gelehrt“. Zuhause kocht er für Frau und Kind eher ganz rustikal einfache Gericht wie Meerretichklösse mit Schweinefleisch und Gemüse. Neben dem Rezept bekommen wir noch ein Foto des fertigen Gerichts zu sehen: schön und simpel, ohne Chichi. Klar, wer täglich Schäumchen schlägt, hat Zuhause eher Lust auf Handfestes!
Und auch sonst zeigt das Buch viel Privates und auch Spannendes: Klaus Erfort isst gerne Nutella, Adeline Grattard trinkt Stutenmilch („Halb so viel Fett wie Kuhmilch“).
Interessant: Standards sind Sardellen oder Sardellenpaste (u.a. Fatéma Hal, Jean-Francois Piége, Annie Féolde), Senf ist fast immer von „Maille“ (u.a. Klaus Erfort, Sang Hoon Degeimbre, Bo Bech), es gibt viele Bon Maman-Marmeladenfans (u.a. David Toutain, Grégory Marchand)) und auch die chinesische Sriracha Sauce hat viele Anhänger (u.a. Christian Puglisi und David Muñoz).
Die meisten Produkte hat Yotam Ottolenghi im Kühlschrank. 49 Lebensmittel vom körnigem Senf, über Weinblätter bis hin zu Mozzarella mit Trüffeln. Er macht sich privat gerne einen Gries-Mandel-Kuchen oder einen Salat aus Emmer und Dicken Bohnen – übrigens eines der wenigen Rezepte, die ich wirklich spannend finde, weil ich Emmer noch nie gekocht habe.
Fertig-Baiser und gekaufte Vanille Eiscreme …
Die wenigsten Produkte – nämlich null – hat Marco Pierre White. Sein Kühlschrank in einer seiner Residenzen, seinem Refugium in Wiltshire, wurde „in einem Flussbett in Frankreich gefunden und aufwendig restauriert.“ Leider bekommen wir nur einen leeren Kühlschrank zu sehen: „vermutlich lagern eher die Einkäufe seiner Haushälterin, denn der Chef isst und lebt die meiste Zeit in London“. Aha. Aber interessant: für Eton Mess verwendet er Fertig-Baiser und gekaufte Vanille-Eiscreme.
Besonders spannend sind die Kühlschränke der Köche, die ich kenne und bewundere. Wie der von Niklas Ekstedt, der in seinem Restaurant Ekstedt in Stockholm nur mit offener Flamme und Rauch arbeitet, das Zubereiten von Speisen wieder zu ihrem Ursprung zurück führt. Zuhause kocht er mit Strom und gerne Maccaroni & Cheese. Der Leser bekommt aber ein Rezept für Kartoffelklöße, das man so auch bei Chefkoch.de gefunden hätte. (Foto links: Inaki Aizpitarte, LE CHATEAUBRIAND)
Die Rezepte sind die Schwäche des Buchs. Sie stehen etwas verloren da, sind entweder sehr simpel wie z.Bsp. Garnelen mit Knoblauch, Zitrone und Koriander (José Avilez), oder sehr aufwendig wie Ringeltaube mit Foie Gras und Trüffelsauce (Héléne Darroze). Zum Nachkochen regt kaum eines an, weil sie in keinem Kontext stehen: Womit soll ich das essen? Womit isst der Koch das? Zum Beispiel eingelegter Rhabarber oder Toskanische Bohnen (Zutaten: Bohnen, Olivenöl, Salz, Pfeffer, zwei Stunden köcheln lassen).
Es wäre schön, wenn die Rezepte irgendwie in das Leben des Kochs eingeordnet worden wären á la: Wenn es mittags schnell gehen muss kocht NN am liebsten ABC, wenn sie oder er Gäste bekommt, ist das ihre Lieblingsspeise.
Inside Chefs‘ Fridges ist im besten Sinne ein Coffee-Table-Book. Großartig inszeniert, klasse Protagonisten und ein Thema, das den Leser lockt: so viel Privates, wie man gerne erfährt.
Veröffentlicht im März 2016