Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Ich glaube, mein Opa weiß gar nicht, wie hip er ist mit seiner Hafergrütze, die er seit Jahr und Tag zum Frühstück kocht. Auch wenn ich selbst ein Weilchen gebraucht habe, um den Wert einer warmen Morgenmahlzeit zu schätzen: Ich mag sie nicht mehr missen – und bin damit nicht allein.
Wann hat das eigentlich angefangen? Wann sind die Oatmeals und Porridges über die kleinen und größeren Meere geschwappt, haben es sich auf unseren Frühstückstischen, in Cerealienregalen, Frauenzeitschriften und Foodblogs breitgemacht? Wann war das gute, alte Müsli nicht mehr gesund genug?
Fragen, auf die ich keine Antwort weiß – und Carina Seppelt, Autorin eines handlichen Bändchens, das dieser Entwicklung Rechnung trägt, offenbar auch nicht. Überhaupt scheint sie keine Freundin großer Worte und ausufernder Erklärungen zu sein: Eine gute Seite Vorwort müssen ihren „Frühstücksbrei(en) und Porridges“ genügen. Quintessenz: Sehr hip, das Ganze, außerdem variantenreich, und, klar: unglaublich lecker. Aha.
Normalerweise macht derlei Schmallippigkeit eine ausführliche Warenkunde inklusive Tipps, wie man zum Beispiel seine eigene Pflanzenmilch braut, zu Beginn eines Buches wett. Dafür war in Seppelts gerade einmal 64 Seiten starker Veröffentlichung allerdings kein Platz. Warum es Hafer mal als Schrot, mal als Grütze, mal als Flocken gibt, ob es wirklich keinen Unterschied macht, Pflanzen- oder Kuhmilch zu verwenden und wie 250 Gramm Hirse in 500 Milliliter Maracujasaft genauso essbar werden wie 160 Gramm Hirse in 700 Milliliter Milch, muss man also selbst herausfinden.
Für Süßschnäbel und Getreideexperten
Darum: ab in die Küche! Dort stellt sich heraus: Frau Seppelt (oben) mag es süß. SEHR süß. Den Vogel abgeschossen hat für mich das Cranberry-Porridge mit weißer Schokolade: Einen Dreiviertel Esslöffel Zucker und 25 Gramm Schokolade veranschlagt Seppelt pro Portion. Ich habe kaum ein Viertel davon genommen und fand’s viel zu zuckrig. Einen „gesunden Start in den Tag“, wie es über dem Vorwort heißt, stelle ich mir anders vor.
Das Schema der Porridges und Breie – ganz am Ende mixt die Autorin außerdem vier Smoothie-Verwandte – wiederholt sich: Ein Teil Flocken zu fünf Teilen Flüssigkeit plus Süßungsmittel und diverse Toppings. So entstehen Pfirisch-Melba-Dinkel-Brei (Dinkelflocken, Milch, Honig, Zucker, Himbeeren, Pfirsich), Piña-Colada-Dinkel-Brei (Dinkelflocken, Kokosdrink, Ananas, Honig, Zucker, Limette) oder Dinkel-Brei mit Rhabarber (Dinkelflocken, Milch, Honig, Rhabarber, Zucker).
Freilich: Von Hafer über Reis, Quinoa, Amaranth bis hin zu Trendzutaten wie Chia-Samen und Exotika wie Erdmandeln kommt fast jede Grundzutat zum Zug. Mal wird in Milch gekocht, mal in Mandeldrink, Orangensaft oder Kirschnektar. Am Ende wird man trotzdem das Gefühl nicht los, dass hier viel Platz hätte gespart werden können, hätte man zu Beginn einige Grundrezepte aufgerufen und die 30 verschiedenen Zutatenkombinationen dann deutlich knapper vorgestellt.
Luft nach oben
Das hätte das ohnehin schon schmale Bändchen natürlich noch schmaler gemacht… oder Platz geschaffen für das, was man vermisst: Erklärungen, ob bei den einzelnen Zusammenstellungen Geschmacksentscheidungen leitend waren oder ob man versucht, Lebensmittel zusammenzubringen, deren Nährstoffspektren sich besonders gut ergänzen. Tipps, worauf bei der Verarbeitung von Pseudo-Getreiden wie Amaranth oder Quinoa zu achten ist.
Man hätte Porridges mit herzhaftem Einschlag aufnehmen können – der Guardian hatte da neulich sehr schöne Ideen – oder eine kleine Kulturgeschichte dieser Art zu frühstücken (vielleicht auch, um den Unterschied zwischen „Porridge“ und „Frühstücksbrei“ zu erläutern, den Seppelts Inhaltsverzeichnis suggeriert).
Immerhin: Die Trefferquote in Geschmacksfragen ist – wenn man die Süße an den persönlichen Gusto anpasst – brauchbar. Zwei von fünf Rezepten – allen voran das Kaffee-Porridge – haben mir gut gefallen, zwei mäßig, eins gar nicht. Dass ich in Sachen Konsistenz – Seppelts Ergebnisse sind eher fest – andere Vorlieben habe, dafür kann die Autorin nichts.
In Zeiten, in denen die nordamerikanische Instantkultur auch bei uns Einzug hält und man sogar im Bioladen Oatmeal zum Überbrühen bekommt, haben Seppelts unkomplizierte Ideen für Frühstücksbrei definitiv ihren Wert. Denn Hand aufs Herz: Haferschleim kochen kann jeder. Sogar mein Opa, und der schafft sonst nur Rührei. Insgesamt liefert dieses Bändchen aber kaum mehr als nette Zutatenkombinationen, und die kann man online – zum Beispiel beim Oatmeal Artist oder auf Kath Eats Real Food – in deutlich größerer Bandbreite finden.
Veröffentlicht im Juli 2016