Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Das umfangreiche Buch, das hier in gewohnt perfekter Manier bei Gräfe & Unzer erschienen ist, kann trotz der schönen Aufmachung und Fotos nach einer näheren Betrachtung und ausführlichem Praxistest meinen Erwartungen nicht standhalten. Schade, aber für Glücksgefühle reicht es einfach nicht. Gar nicht.
Zu Beginn ein „Lexikon“, alphabetisch sortiert geht es durch Kräuter und Gewürze, jedes mit einem Foto und kleinem Text vorgestellt. Hier die erste Ungereimtheit. Gleich am Anfang: Angostura. Das Foto zeigt ein Schälchen gefüllt mit einer rötlich-braunen Flüssigkeit. Kraut? Gewürz? Der Text gibt keinerlei Hinweise, außer dass sich Angostura auch prima als Zutat in Marinaden und Salatsaucen eignet. Zugegeben, ich habe bislang noch nie darüber nachgedacht, was das eigentlich für ein Zeugs ist, welches einem da ab und an in homöopathischen Dosen in Cocktails gemischt wird, aber hier hätte ich dann doch erwartet, dass mich eben nicht schon wieder Wikipedia darüber aufklären muss, dass es sich um einen Bitterlikör handelt, für dessen Herstellung u.a. Enzianwurzel, Bitterorange, Nelken, Kardamom und Zimt verwendet werden.
Auf der nächsten Seite werden Brühwürfel (mit Foto!) und Fleischextrakte als „ideale Basis für Suppen und Eintöpfe“ empfohlen. Hm, irgendwie verstehe ich den Titel des Buches anders.
Dem „Lexikon“ folgt die „Kräuterküche“, ein Kapitel, in dem knapp und übersichtlich Informationen zur Kräuterzucht und Ernte gefolgt von Verarbeitungsmöglichkeiten gegeben werden, auch eine kleine Gerätekunde mit dafür nützlichen Küchenwerkzeugen findet sich. Die ersten Rezepte für Kräuter-Salz- und Kräutermischungen sowie Öle, Marinaden und Senf sehen gut aus. Die „Gewürzküche“ ist ähnlich aufgebaut, Einkaufs- und Lagerungstipps gefolgt von Grundrezepten für Gewürzmischungen und Sößchen. Auch gut. Von mir aus hätte jetzt, nach 63 Seiten, Schluss sein dürfen.
Nun beginnt jedoch erst der Hauptteil des Buches, immerhin vier Fünftel des Gesamtwerkes. Die „richtigen“ Rezepte sind mehr oder weniger klassisch nach den Hauptzutaten bzw. dem Gang untergliedert in „Salate & Suppen“, „Snacks & Dips“, „Nudeln & Reis“, „Kartoffeln, Gemüse & Hülsenfrüchte“, Fleisch & Geflügel“ sowie „Desserts“. Es wirkt leider ein bisschen konzeptlos, wie hier Rezepte aneinandergereiht wurden. Nur selten habe ich den Eindruck, dass hier tatsächlich ein bestimmtes Gewürz oder Kraut den entscheidenden Kick ausmachen könnte und frage mich, ob die Rezepte tatsächlich alle für dieses Buch entwickelt wurden. Oder ob die Autoren auch wirklich immer im Kopf hatten, worum es in diesem Buch doch gehen sollte.
Ich wundere mich über Rezepte wie den „Rindergulasch klassisch“, in welchem – Trommelwirbel – „1 EL Delikatess-Paprikapulver“ verwendet wird. Na, das ist nun wirklich nicht neu! Natürlich gehört da Paprikapulver rein, aber nachdem uns dieses Rezept nun sonst keinerlei Innovation liefert, frage ich mich über seine Daseinsberechtigung in einem Kochbuch, dass doch mehr sein will als eine Grundkochschule.
Ein anderer Fall, „Kidneybohnen mit Epazote“. Prima, denke ich, Epazote habe ich da und so merke ich also gleich auf und überfliege die Zutatenliste. Das Foto lässt es schon erahnen, es handelt sich eigentlich um ein Chili con carne-Gericht. Die Zutatenliste bestätigt den Eindruck. Aber halt, was soll ich da benutzen – „1-3- EL Chili-Gewürzmischung (Fertigprodukt)“?!!! Nein, das habe ich nicht im Haus und wird auch nicht passieren. Das kann doch jetzt echt nicht sein! Sollen hier die Internet-Gewürz-Versandhandlungen am Ende des Buches beworben werden, oder soll ich im Supermarkt die tollen Glutamatmischungen der eingängigen Hersteller kaufen? Warum ist es uns nicht zumutbar, mit Kreuzkümmel, Rosmarin und Oregano selber einen anständigen Geschmack ans Essen zu zaubern?
Puh. Enttäuschung auf ganzer Linie, auch praktisch. Denn das Nachkochen hat auch keine wirklichen Highlights hervorgebracht, trotz der Gewürze schmeckt alles irgendwie „deutsch“. Nicht zuviel Knoblauch, nicht zuviel scharf, Exotik in Maßen und kleinen Dosen, wo mehr Mut angebracht gewesen wäre. Dafür kann ich mich nicht begeistern.
Veröffentlicht im Februar 2012
Liebe Rena, herzlichsten Dank für Deinen Kommentar. Sehr interessant zu wissen.
Das Kochbuch hatte ich auch schon in den Händen und habe es schnell wieder weggelegt, denn es handelt sich eigentlich nur um die wenig gelungene “Wiederverwertung“ zweier älterer Kochbücher: „Würzen“ von Bettina Matthaei und „Kräuter“ von Susanne Bodensteiner / Reinhard Hess.
Beide Bücher befinden schon in meinem Fundus. Das ist allerdings nicht der eigentliche Grund, warum ich das zusammengefasste (um nicht zu sagen „zusammengestoppelte“) Werk nicht empfehlenswert finde.
„Würzen“ von Bettina Matthaei ist eines meiner liebsten Kochbücher. Als es herauskam (2004) fand ich die „Workshop“-Idee so neu und originell, dass ich es SOFORT kaufen musste: die Kapitel sind jeweils einer Geschmacksrichtung gewidmet (Salzig, sauer, süß….), dann werden passende Gewürze und würzende Zutaten vorgestellt. Im Rezeptteil finden sich einige Seiten nach dem Motto „Ein Grundrezept ganz einfach und viermal anders“. Das als zu simpel gescholtene Rindergulasch gehört zu der Kategorie „Grundrezept ganz einfach“, daher finde ich die schlichte, klassische Würzung stimmig. Die weitere Rezeptsammlung ist zugegebenermaßen recht bunt gestreut.
Meine Erfahrungen: Die arabischen Lammhackbällchen finden auf jeder Party reißenden Absatz (in eigener Abwandlung mit Ras el Hanout, diese Mischung wiederum nach Matthaeis Rezept), auch die Putenstreifen mit Erdnusskruste waren sehr lecker. Das Geschmorte Lamm mit Aprikosen ist der Knaller (allerdings verzichte ich das starke Einkochen des Fonds und nehme weniger von “normalem” Lammfond). Ansonsten mag ich bei diesem Buch vor allem die Anleitungen für selbst gemachte Gewürzmischungen und die informative Zusammenstellung von Würzmitteln und Gewürzen zu den Kapitelthemen. Jeder kommt auf die Idee, Essig zu den Sauren Würzen zu zählen, aber wer verfällt auch auf Amchoor, Sumach und orientalischen Granatapfelsirup (eine Lieblingszutat von Matthaei)?
Aus diesen Sammlungen stammt auch die stichwortartige Vorstellung z.B. von Angostura (bitter) und Brühwürfen (salzig). Im zusammengefassten Buch fehlt diese Zuordnung, da wird alles aus dem Zusammenhang gerissen nur alphabetisch aufgelistet.
„Kräuter“ kam ein Jahr nach „Würzen“ heraus, und ist – wie ich finde – ein durch die Bank enttäuschender Abklatsch des Originals. Optisch eine genaue Nachahmung des Workshop-Prinzips konnte es mich inhaltlich nicht überzeugen.
Aus dem Kräuter-Kochbuch hat mich auch noch kein Rezept so gereizt, dass ich es nachkochen wollte…und tatsächlich stammen die in der Rezension gelobten Rezepte aus „Würzen“, die kritisierten aus „Kräuter“ (bis auf das Gulasch).
Mein Fazit: ein gutes und ein uninteressantes Kochbuch irgendwie zusammengemischt ergibt ein nicht mal durchschnittliches Resultat. Die originelle Grundidee des Workshops aus „Würzen“ ist verschwunden und die Kräuter-Rezepte sind für mich nicht überzeugend.
Wer sich für Kräuter und Gewürze interessiert macht sich auf die Suche nach dem (leider vergriffenen) Original von Bettina Matthaei und einem interessanteren Werk zur Kräuterküche.