Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Über das Wesen von Klassiker-Rezepten lässt sich einiges sagen. Sie haben es sich im Schoß der Welt gemütlich gemacht und werden anstatt der üblichen Zutaten-Aneinanderreihung liebevoll namentlich genannt wie z.B. die Sauce Bolognese. In Wirklichkeit sind es natürlich Kosenamen, denn jede Köchin wacht über ihre eigene Klassiker-Version: die eine gibt noch etwas Milch oder Wein zur Bolognese, die andere meint, dass unter drei Stunde köcheln eine Bolognese den Namen nicht wert ist.
Was Klassiker-Rezepte mit dem Buch Bill Grangers „Basics – 100 Rezepte für jeden Tag“ zu tun haben? Inhaltlich ganz viel – nur der Titel nicht. Der Titel ist aus meiner Sicht sogar missverständlich. Denn hier geht es nicht um Basics iSv Grundlagen und auch im Wesentlichen nicht um Jeden-Tag-Rezepte (nein, das kocht sich nicht unbedingt schnell am Abend, nur hier und da). Es handelt sich um 100 Leibgerichte von Bill Granger, um SEINE geliebten Klassiker.
Es ist das achte von inzwischen neun Kochbüchern des Australiers. Er schaffte es in die internationale Koch-Szene als Autodidakt. Seine Eltern hinterließen bei ihm ganz unterschiedliche Einflüsse: seine Mutter ist Vegetarierin und sein Vater arbeitete als Metzger. Bill ist Vater von drei kleinen Töchtern und so erklärt sich sicherlich sein nachlässiger und müder Look (S. 250).
Sooo schön!
Das Kochbuch ist bildschön. Die optische Poesie von Easy Asia, einem anderen Buch von Bill, verzückte uns bereits. Dieses steht ihm in keiner Weise nach (zieht man die vornehme Asia-Note ab). Fotograf Mikkel Vang ist nun endgültig in meinem Sternenhimmel der Verzauberung angekommen. Natürliches Licht und Styling bringen eine solche Frische und Klarheit in das Buch, dass man hineinsteigen möchte.
Auch die Kapitel-Struktur trifft meinen Geschmack. Seit einiger Zeit rückt das Frühstück immer mehr in den Fokus der Kochbücher, so ist das auch hier. Zwar gehöre ich zu den Naturen „Darjeeling + Marmeladenbrot“ und auf Reisen auch gerne „Eggs + Beans“, aber meine Familie ist das glatte Gegenteil und so lasse ich mich gerne inspirieren. Es folgen die Kapitel Backen, Suppen, Salat, Reis & Pasta, Fleisch, Fisch, Gemüse und Dessert.
Manchmal wird in Kochbüchern viel Privates erzählt, hier kaum. Bills einleitende Worte zu den Rezepte lohnen sich zu lesen. Er erzählt z.B. zu den tiefbraunen, schmelzig dreinblickenden Brownies, dass er sie gerne mit einer Creme aus gleichen Teilen Créme Fraiche und geschmolzener Schokolade bestreicht und als Petits Fours reicht. Oder dass man die knusprige Schwarte des Schweinebauchs gut über einen Chicoreesaat mit Apfel- oder Birnenscheiben geben kann. (Mmmh, der Appetit erwacht wieder beim Schreiben. Es ist gerade fast Mittagszeit.)
Ein feiner Mix
Es finden sich viele bekannte Klassiker in dem Buch aus allen Erdteilen von Hühnersatay, Spaghetti Carbonara, Krautsalat, Palak Paneer bis Französische Zwiebelsuppe u.v.m. und auch wenig bekannte Marke „Bills Klassiker“. Die tolle Nachricht: es sind richtig gute Rezepte mit kleinen Raffinessen und feinen Details. Dafür braucht man als Kenner nur durch die Zutatenlisten der eben genannten Superstars unter den Klassikern zu streifen. Als Australier geht Bill Granger mit mancher Tradition freier um, was ich als Bereicherung empfinde. So finden sich z. B. in dem ansonsten klassischen Rezept Spaghetti Carbonara auch Frühlingszwiebeln.
Einzig das Dessert-Kapitel schwächelt, finde ich. Hier finden sich zwar köstliche Kuchen wie Tarte Tatin, Pavlova und 1-2 Klassiker-Rezepte, aber es dürften weniger Kuchen und mehr cremige Dekadenz von Coulis, Sahne & Co sein. Aber ich empfinde auch Desserts der Hauptspeise ebenbürtig.
Das Kochbuch hat mich während des Relaunches von Valentinas begleitet und ich habe es nur schwer weglegen können. Es entwickelte sich neben kulinarischen Premieren ein kleiner Sport. Ist das Rezept besser als „mein Klassiker“? Die Antworten lauteteten „Ja“ oder manchmal habe ich nun die Wahl zwischen zwei Favoriten eines Klassikers.
Veröffentlicht im Mai 2013