Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Normalerweise geht das so: Gutes Buch/Essen – guter Text. Schlechtes Buch/Essen: guter Text – man hat ja genug zu bekritteln. Schwierig wird’s beim Mittelmaß – „so lala“ geht schließlich kaum als vollwertige Besprechung durch. Und offenbar gibt es noch einen vierten Fall – einen, der das Aufschreiben ganz, ganz schwierig macht. Ein Fall wie Bernadette Wörndls „Obst“ – die Causa „perfekt“.
Es ist alles Gold, was glänzt
Es fängt schon ganz vorne an, mit dem wunderschönen Stillleben von Cover: Eine Handvoll Brombeeren kullert da über dunklen Grund, am Rand glänzt fein eine einzelne Birne. Darüber, in schnörkellosen, goldenen Versalien stehen vier Buchstaben – O B S T. Ein Titel, so einfach wie entschlossen.
Bernadette Wörndl (Foto links) und ihr großartiges Team aus der Fotografin Gunda Dittrich, der Grafikerin Manuela Tippl und Lektorin Katharina Wind widmen sich jeder der 22 Früchte (darunter übrigens auch das Gemüse Rhabarber) mit einer Mischung aus Neugier und Andacht. Alles – die leise Bildsprache, das klare Layout, jedes einzelne Rezept – dient nur einem Zweck: Apfel und Birne, Steinobst, Beeren und all die anderen heimischen Genüsse in den Mittelpunkt zu rücken, ins allerbeste Licht. Dorthin, wo man sie wieder richtig wahrnimmt, wo man sie wieder als das erkennt, was sie sind: unglaubliche Schönheiten, Kostbarkeiten – echte Schätze. Allein daran mag man sich kaum sattsehen.
Und satt essen eigentlich auch nicht, denn jedes der nachgekochten Gerichte macht nur noch mehr Lust, auch die 119 anderen zu probieren. Der Untertitel „von salzig bis süß“ kommt übrigens nicht von ungefähr: Die Gleichung „Obst = süß = Nachtisch“ geht bei Wörndl nicht auf. Obwohl das Verhältnis ziemlich ausgewogen ist, spielt die Musik vor allem da, wo Obst zur pikanten Hauptspeise wird – zum Beispiel als knusprige Makrele mit süß-sauren Stachelbeeren, gegrillter Pfirsich mit Speck und Ricotta auf Toast oder Lammkeule in Milch mit Rhabarber und Haselnüssen.
Die Klassiker – Erdbeeren mit Schlag und Katzenzungen, gegrillte Feigen mit Prosciutto oder gebackene Holunderblüten – dürfen bei Wörndl genau das sein: Klassiker, an denen es nichts zu verbessern gibt. Die man trotzdem erst mal auf den Punkt bringen muss: Wenn ein Apfelstrudel nach ihrer Vorlage schmeckt wie ein Apfelstrudel schmecken muss (Warm! Buttrig! Knusprig!) und man hinterher nach dem Rezept gefragt wird – gibt es etwas Besseres?
Nose-to-tail für Grünzeug
Ja, gibt es: Nämlich wenn auch das, was eigentlich übrig ist, noch einen Zweck erfüllt. Wie das geht, hat Wörndl im Vorgängerband „Von der Schale bis zum Kern“ durchexerziert – lange vor dem gegenwärtigen Hype um „Nose to tail“. Spuren davon findet man aber auch in „Obst“ – etwa, wenn aus Quittensud eine Cocktailbasis wird, aus Feigenblätterauszug Eiscreme (wow!), aus Apfelschalen und -kernen Sirup. Nichts wird vergessen, nichts verschwendet, nichts vertan – mit größerem Respekt kann man seinen Zutaten nicht begegnen.
Es gibt viele gute Kochbücher. Es gibt auch einige sehr gute Kochbücher – solche, in denen Idee, Umsetzung und Nachkocherlebnis beglückend nahtlos zusammenpassen. Und dann gibt es Bücher wie dieses – Bücher, die noch ein Stückchen besser sind als gut, die noch ein bisschen schöner sind als schön, deren Konzept noch ein bisschen durchdachter ist, noch ein bisschen einzigartiger, noch ein bisschen runder. Bücher, für die einem genau dann und genau darum die Worte fehlen.
Vielleicht, weil „Obst“ so eine Herzenssache war: Wenn man die kleinen Texte liest, die Wörndl jedem Rezept vorangestellt hat, ahnt man, wie dieser Band entstanden ist. Wenn sie erzählt, wie sie den pochierten Pfirsich zum ersten Mal bei ihrer kalifornischen Gastmutter gekostet hat, wie sich Brombeeren und Steinpilze beim Spaziergang im Wald wie von selbst zusammengetan haben, um die Herbstpasta par excellence abzugeben, warum der Erdbeerpie unbedingt jede Saison eröffnen muss – dann tut sie das, weil Geschichte, Geschmack und Gericht untrennbar miteinander verbunden sind. Und sie tut das, um uns daran zu erinnern, dass auch wir solche Obstgeschichten, Obstgeschmäcker und Obstgerichte kennen. Sie sind die wahren Schätze – und Bernadette Wörndl hilft gern beim Bergen.
„Obst“ ist Wörndls Aufforderung, sich das, was uns Mutter Natur Jahr für Jahr vor die Füße legt, wieder ganz genau anzusehen. Ihre Rezepte sind eine Einladung, dem Geschmack jeder dieser Kostbarkeiten nachzugehen – nachzugeben. Denn der ist: perfekt.
Veröffentlicht im März 2017
Ja, tolle Rezension, soviel Begeisterung steckt an. Das Buch will ich auch! 😀 Grüße Katja B.
Schönes Buch, schöne Rezension! Kleiner Fehlerteufel beim Einleitungstext: Konzert 🙂
Maria
Ah 😉