Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Nowherian: Ein Mensch, der nirgendwo richtig zu Hause ist – und damit ein bisschen überall. Das ist die Bezeichnung, die Schriftsteller und Künstler Beni Tonka für sich gefunden hat – als Sohn einer deutschen Mutter und eines Vaters aus Trinidad und Tobago. Wobei dieser Vater lange nur als Phantom existierte. Bis Tonka eine Telefonnummer erhält und am anderen Ende der Welt jemand abnimmt. Alles, was dann passiert, ist Gegenstand seines Erstlings „Good Lime“.

Kein klassisches Setting für ein Kochbuch? In der Tat. Aber da Trinidad und Tobago ohnehin bislang nicht sonderlich prominent auf kulinarischen Landkarten steht, ist diese Ausgangslage ganz glücklich. Denn so kann uns Beni Tonka (Foto links) an die Hand nehmen und begleiten bei den ersten Kontakten mit einem Land, das auch ihm zunächst ziemlich unbekannt war und ein bisschen fremd.
Eine Familiengeschichte in 60 Gerichten
Wir landen inmitten des größtmöglichen Trubels – Karneval in Trinidad und Tobago! Die Geschichte, wie Tonka erstmals das Flugzeug verlässt, um seinen Vater „Pop“ zu treffen, eröffnet den inhaltlichen Teil des Buches, das von solchen Erinnerungen gegliedert wird. Durch seine unmittelbaren, bunten und detaillierten Beschreibungen hat man das Gefühl, direkt neben ihm zu stehen – inmitten neuer Geräusche, Gerüche, einer ganz eigenen, elektrisierenden Stimmung, die noch weiter aufgeladen wird von der Tatsache, dass Tonka bald jenem Mann gegenüberstehen wird, von dem er lange nicht wusste, dass es ihn überhaupt gibt.
Tonka kommt Mitte der 1980er-Jahre in Rüsselsheim zur Welt, wo seine Familie aus seiner Mutter, seiner Tante und seiner Oma Änni besteht. Später kommt „Dad“ hinzu, ein US-Soldat, den seine Mutter heiratet und mit dem sie Jazzmin bekommt, Tonkas Schwester. Für Tonka ist Dad (s)ein Vater – bis er um die 20 ist und ihm seine Mutter eröffnet, dass das nur im übertragenen Sinne stimmt. Sie gibt ihm eine Telefonnummer, unter der jedoch niemand mehr zu erreichen ist.

How to lime
Die damit beginnende, keinesfalls lineare Suche nach seiner Herkunft hat Tonka in „Good Lime“ aufgeschrieben und anhand von für ihn wichtigen Gerichten nachvollzogen. Sie beginnt mit Maissuppe, die ihm Pop nach seiner Ankunft inmitten des Karnevals spendiert und die wirklich köstlich schmeckt. Sie führt über kurvige Straßen ins Hinterland, wo ihm sein Cousin Damian Ananas Chow in die Hand drückt, eine Art süß-saurer Obstsalat, nach dem Tonka ad hoc süchtig ist. Sie geht zurück zu Oma Änni und ihrem quasi-vegetarischen Kartoffelsalat („Das bisschen Speck…“) und endet in Köln, wo Tonka seine deutschen und karibischen Wurzeln mit den US-amerikanischen Einsprengseln in einem Brownie mit Mango-Ganache und Hibiskussirup vereint.
All das sind auch Zutaten für einen „Good Lime“, der trinindadischen Bezeichnung für fröhliches, intensives und köstliches Beisammensein. Der Ausdruck gemahnt sicher nicht zufällig an die englische „good time“, denn auf englische Matrosen und ihren extensiven Limetten- und Rumkonsum geht er ursprünglich zurück.
Beni Tonka:
„Liming ist ein zentrales Element des Alltags auf Trinidad und Tobago. Aus zufälligen Treffen an der Straßenecke entwickeln sich nach ein paar Drinks spontan lange, fröhliche Zusammenkünfte. Eine zufällige Begegnung mit alten Schulfreund*innen im Park kann von ein bisschen Smalltalk zu einem stattlichen Barbecue werden, bei dem immer mehr Freund*innen und Bekannte dazustoßen.“
Wer all dem in der eignen Küche nachspüren will, kommt um einen Besuch im international food store nicht herum. Wir brauchen Kochbananen, die definitiv anders sind als das, was man im Supermarkt bekommt, viele Bratpaprika, außerdem Scotch Bonnet, eine der schärfsten Chilisorten der Welt, sowie, ganz wichtig: Shado Beni, das Gewürzkraut aus Trinidad und Tobago. Ich finde vieles davon, aber nicht alles – was insofern kein Problem ist, als dass Tonka in seiner einführenden Warenkunde für das meiste gut erhältliche Alternativen nennt (z. B. frischer Koriander anstelle von Shado Beni). Einzig für seine selbst kreierte „Soka Sauce“ gibt es keinen Ersatz. Man kann sie aber als Teil eines „Beni Tonka Starter Kit“ bei ihm bestellen.
Einfach (und) anders
Die Rezepte passen allesamt auf eine Seite und erfordern neben den genannten Zutaten nichts, was eine normal ausgestattete Küche nicht kennt. Und trotzdem ist manches anders: Zum Beispiel die Art, wie Aromen langsam aufgebaut werden – vom Herstellen des tollen Trini-Currypulvers über das Anbraten von indischem Lorbeer (Entdeckung!) bis hin zum schrittweisen Dünsten und Schmoren von Zwiebel, Knoblauch, Bratpaprika. In der Maissuppe schwimmen schließlich dicke Kolbenstücke, deren Abkauen nicht ganz spritzfrei abgeht, aber großen Spaß macht. Und dann ist da die gute Kombinierbarkeit vieler kleinerer Gerichte, sodass aus Curry-Bohnen, Kürbis-Talkari und Kartoffel-Choka ein vollständiges (und veganes) Menü wird, das geschmacklich neue Horizonte eröffnet.
Nach so einem „Lime“ sitzt man da mit warmem Bauch und warmem Geist, denn nicht nur geschmacklich ist Tonkas Erstling ziemlich einzigartig. Für mich war diese persönliche Reise in eine mir bislang völlig unbekannte kulinarische Region eine große Entdeckung, die zum Glück noch lange nicht zu Ende ist.
Veröffentlicht im April 2023