Zwei Sterne: Begeisterung sieht anders aus.
Lust auf Gemüse? Oh ja. Auf sonnengelbe Kochbücher und sattpinke Rote-Bete-Suppe sowieso. Und dass das Neue im Kochbuchregal ein Brite ist, schürt eine Extraportion freudiger Erwartungen. Da kann doch nichts schiefgehen … oder?
Arthur Potts Dawson, das ist doch ein Neffe von Mick Jagger, raunt es aus dem Internet. Jawohl, dem Mick Jagger. Das wirft dringliche Fragen auf. Verspürt der berühmte Onkel auch gelegentlich „Lust auf Gemüse“? Liebt er Brokkoli, hasst er Zucchini? Wie steht er zu Kochbüchern, zu den Kochkünsten seines Neffen? Hierauf finde ich keine überzeugenden Antworten und wende mich lieber dem Neffen zu. Also nochmal auf Anfang.
Arthur Potts Dawson ist ausgebildeter Koch, mit Stationen im berühmten Londoner River Café, bei Hugh Fearnley-Whittingstall und bei Jamie Oliver. Seine Steckenpferde sind Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung, er ist Mitinitiator des „People’s Supermarket“ in London und Hauptakteur der gleichnamigen BBC-Doku. Da fügt sich auch das Thema seines ersten Kochbuchs ein: „Eat your veg“ – mehr Gemüse sollen wir essen, am besten regional, nachhaltig und saisonal. Tun wir, na klar, jedenfalls bemühen wir uns nach Kräften, aber frischer Wind ist jederzeit willkommen!
Der plakativ leuchtende Einband täuscht, innen geht es leiser zu – schlichtweiße Seiten, viel Text in teilweise geradezu winziger Schrift, dazu kontrastarme und leicht grobkörnige Fotos mit zart altmodischer Anmutung. Die Rezepte – mehr als 250 sollen es ein – sind nach Gemüsefamilien gruppiert und mit kleinen persönlichen Anekdoten und Anmerkungen garniert. Für Grundrezepte gibt es ein Extra-Kapitel. Auch eine Inventarliste für die Vorratskammer und ein Saisonkalender werden mitgeliefert, deren praktischer Mehrwert allerdings kaum ins Gewicht fallen dürfte. Eingestreut finden sich zudem Grundtechniken und Vorschläge für kleine Büffets.
Der Tisch ist üppig gedeckt, aber als ich näher herantrete, schrumpft die Auswahl, die ich mir auf den Teller legen möchte. Butter… Sahne … Crème double … Mayonnaise … Cheddar … Parmesan. Ich liebe Käse und koche auch gerne mal mit Butter und Konsorten, aber dies ist mir zu viel des Guten. Ich finde, die Zubereitung sollte dem aromatischen Charakter des Gemüses schmeicheln und ihn bei der Entfaltung unterstützen – Arthur Potts Dawson setzt eher auf Tarnen und Täuschen. Gemüse verpackt, für Menschen, die kein Gemüse mögen, scheint mir seine Strategie zu sein. Mein Lieblingsbeispiel sind die „Erbsen in Käsesauce auf Toast“ – eine dicke Masse aus TK-Erbsen in Milch-Mehl-Schwitze mit reichlich Cheddar und Parmesan auf Toast. Seinen Kindern gefällt’s – meine Phantasie tritt schon beim Lesen in den Hungerstreik!
Auch bei der Umsetzung knirscht und rumpelt es. Wie soll ich einen Weißkohl plus zwei Liter Flüssigkeit in einem Glas mit 1,5 Litern Fassungsvermögen unterbringen? Warum ist das Grundrezept Mürbeteig auf etwa 750 g Teigmasse ausgelegt, wenn beide Rezepte, bei denen der Teig benötigt wird, locker mit der halben Menge auskommen? Wieso sind die Saucenrezepte so spartanisch beschrieben, ein simples Kartoffelpüree aber mit opulenten 25 Fotos dokumentiert? Benötige ich 250g Petersilie für einen Salat, wenn das Foto nur ein paar zarte Streifen Grün zeigt? Und überhaupt – wie viele Bund Petersilie müsste ich kaufen, um auf ein halbes Pfund zu kommen? Und so weiter…
Auch ein steiniger Hindernislauf ist schnell vergessen, wenn im Ziel eine angemessene Belohnung winkt. Solche Momente gab es – eine leckere Linsen-Tarte, ein köstlicher Quinoa-Salat, pfiffig die im Salzbett gegarten Zwiebeln – aber das Gesamtbild fiel eher durchwachsen aus. Schade.
Die Rote-Bete-Suppe, die mir vom Einband aus zuzwinkerte, habe ich übrigens nicht probiert. Stolze 350ml Wodkaeinlage waren mir zu viel.
Nein, dieses Buch macht wenig Lust auf Gemüse. Ich mag Herrn Potts Dawson, seine ungerührte Art, mit der er augenzwinkernd Russischen Salat oder Garnelencocktail-Schiffchen präsentiert. Aber es sind einfach zu viele kleine Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten auszubügeln, und auch die Resultate wiegen dies nicht auf. Vielleicht versteckt sich noch das eine oder andere Juwel zwischen den Buchdeckeln, aber ich habe meine glücklose Suche aufgegeben.
Veröffentlicht im Februar 2015