Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Hier dreht sich alles um die Kichererbse, aber eigentlich auch ums Menschsein, wie Dan Alexander in seinem Vorwort betont. Denn Essen kann Menschen im Idealfall zusammenbringen – und diese unscheinbare Hülsenfrucht hat das Zeug dazu. In dem Kochbuch „Auf den Spuren des Hummus“ begleiten wir sie durch Raum, Zeit und Kochtöpfe im Nahen Osten.

Über 30 Menschen, darunter Köch:innen, Fotografen und Wissenschaftler, haben sich – auf Initiative von Ariel Rosenthal, Orly Peli-Bronshtein und Dan Alexander – zusammengetan mit Essays, Bildern und Rezepten. Darunter so namhafte Autoren wie der britische Koch Sami Tamimi, Autorin Claudia Roden oder Fotograf David Loftus. Das Kochbuch ist ursprünglich im Eigenverlag bei „The Hummus Book Projekt Ltd“ erschienen, was ein Hinweis ist, dass die Herausgeber damit ein einmaliges grenzüberschreitendes kulturelles Vorhaben verwirklichten.
Viele Autoren, Köche & Diskussionen
Das zeigt auch die Gliederung. Das Projektteam hat das Kochbuch nach dem geografischen Vorkommen der Hülsenfrucht im Nahen Osten entsprechend strukturiert und seinen Städten eingeteilt — mit leichtem Israel-Schwerpunkt. Kairo, Gaza, Jaffa, Tel Aviv, Jerusalem, Nazareth, Akko, Beirut und Damaskus lauten die Kapitel. Rezepte und Essays wechseln sich darin ab, aber auch Gedichte, Märchen und Einträge lexikalischen Charakters. Eine bunte Mischung von vielen Autoren erstellt.
Es gibt einiges Wissenswertes zu lesen, auch Grundlagen. Die Hülsenfrucht wurde vor 7000 Jahren kultiviert, ihren Ursprungsort habe sie im Mittelmeerraum, von dort verbreitete sie sich in den Nahen Osten und wurde Basis der heute weltweit populären Gerichte wie Hummus und Falafel, erfahre ich.

Dr. On Barak berichtet ergänzend über Falafel, dass bis heute die Herkunft ungelöst sei – trotz aller gegenteiliger Behauptungen. Ägypten und Nordsyrien würden vielmehr über die Deutungshoheit des Falafels streiten. Klar sei zwar, dass die frittierten Bällchen von christlichen Kopten Ägyptens erfunden worden seien, und zwar für die Fastenzeit als fleischlose Alternative. Diese würden aber ta’amiya genannt und aus Fava-Bohnen zubereitet werden. Kichererbsen, aus denen sie heute gemacht werden, seien zu diesem Zeitpunkt nur in Großsyrien verbreitet gewesen. Das Thema haart also weiterer historischer Recherche.
An anderer Stelle erfahre ich durchaus staunend, dass Hummusexperten „Hummologen“ genannt werden. Zu denen bekennt sich auch die Autorin Prof. Liora Gvion in ihrem Essay „Sag mir, wie Du Dein Hummus magst, und ich sage Dir, wer Du bist“. Das Gericht habe aus der arabischen Küche seinen Weg in die israelische gefunden. Heute hätte es sich weit von seinen Ursprüngen entfernt, sei kommerzialisiert worden und am Israelischen Unabhängigkeitstag sogar unentbehrlich, schreibt sie. Den Titel ihres Essays löst die Autorin aber nicht ein, wer welchen Hummus isst. Dabei hätte ich das gerne gewusst.
So erweist sich die essayistische Herangehensweise als interessant, aber nicht immer verschmelzen die vielen Puzzleteile zu einem großen Ganzen, manchmal wirkt es eher zufällig, so mein Fazit.

Neben den Essays bietet das 400-Seiten-Kochbuch circa 60 Rezepte. Das Verhältnis deutet bereits an, was das Buch prägt. Es erwarten mich sehr viele stimmungsvolle Fotografien von Menschen oder Straßenszenen und natürlich auch Essen. Das macht Lust, aber manchmal wähne ich mich in einem Reisemagazin, wenn über 28 Seiten hinweg eine reine Fotostrecke das Thema bespielt. Schade fand ich zudem, dass es nicht zu allen abgebildeten Speisen die entsprechenden Rezepte gibt.
Jede Region hat ihr Rezept
Dem Kochbuch gelingt es aber trotz Blätterei, die grenzübergreifenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kichererbse herauszuarbeiten. Eingedenk der politisch angespannten Situation im Nahen Osten ist dieses Zusammenkommen eine wertschätzende Art des Miteinanders und in gewisser Weise Grundlagenarbeit für kulinarisch Interessierte.

Wer sich schon immer gefragt, wie Hummus denn nun zubereitet wird, wird hier natürlich nicht auf eine eindeutige Antwort treffen, aber auf den Reigen regionaler Variationen. Mal mit Zitronensaft, mal mit Zitronensäure, mal mit Knoblauch, mal ohne. Hummus Beiruti wird mit einem Klecks Joghurt oder Sauerrahm serviert. Das Hummus aus Gaza bekommt eine Prise Kreuzkümmel. Das Hummus Bil Lahmneh aus Damaskus, das zu Lammfleisch serviert wird, wird mit Limettensaft und Knoblauch verfeinert. Als Leser:in ergeben sich so einige Doppelungen mit Minimalabweichungen, die sich nur im Wissen um das Buchprojekt heraus erklären.
Dan Alexander:
„Die Identität der Kichererbse wurzelt in der Vergangenheit, blickt aber lächelnd in die Zukunft. Es geht um den Dialog zwischen den Geschmäckern und um die Zuneigung und Nähe, die sich in einer Freundschaft entwickeln können. Gutes Essen kann die Menschen einander näherbringen.“
In der Praxis überzeugt das Buch. Beim Nachkochen beweisen sich die Rezepte, die von bekannten Köchen und Gastronomen stammen. Alle Gerichte sind mir gut gelungen und haben geschmeckt. Richtig begeistert war ich von den Falafeln Hakosem nach einem Rezept von Ariel Rosenthal. Eigentlich frittiere ich nicht gern. Zum Glück bin ich über meinen Schatten gesprungen. Die Kichererbsen werden roh mit Kräutern und Gewürzen püriert und ergeben so knusprig-fluffige Bällchen, dass sie wie vom Büdchen schmecken. Wirklich sehr gut. Auch die Pita-Brote sind definitiv ein Keeper-Rezept.
„Auf den Spuren des Hummus“ ist ein Kochbuch von Enthusiasten über die Kichererbse. Renommierte Autoren, Köche und Gastronomen aus dem Nahen Osten berichten um und über die Hülsenfrucht mitsamt Rezepten. Statt politischer Graben- und Religionskämpfe wird hier die Gemeinsamkeit anhand der regional prägenden Kichererbse gefeiert. Nicht immer ist es ein stringent durchkomponiertes Kochbuch, es wurde zunächst im Eigenverlag herausgegeben. Dafür dokumentiert es die Wurzel der heute weltweiten Kichererbse mitsamt klassischen Gerichten wie Hummus und Falafel, und zwar aus authentischer Feder. „Auf den Spuren des Hummus“ ist ein Kochbuch für historisch interessierte Leser:innen. Die Rezepte sind durch und durch empfehlenswert.
Veröffentlicht im September 2022