Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Das bunte Cover von „Abenteuer Geschmack“ sieht aus wie eine Farbexplosion direkt von einem Holi-Festival. Gefällt mir sofort, genauso wie die cleanen und bunten Nah- und Großaufnahmen im Introteil. Aber kann ein Buch, das optisch so plakativ den Sehsinn reizt, auch inhaltlich punkten und tatsächlich geschmacklich überzeugen? Und wie!
Antje de Vries (Foto unten) reist seit fünf Jahren als Beraterin für gastronomische Konzepte durch die ganze Welt und hat sich für dieses Werk fünfzehn Gemüse ausgesucht, die sie ganz unterschiedlich in Szene setzt. Bevor es aber ans große Kochen und Experimentieren geht, zeigt sie auf den ersten dreißig Seiten erst einmal, was Geschmack eigentlich ausmacht. Das muss man nicht lesen, um das Buch zu verstehen oder die Rezepte zu genießen, eröffnet aber viele neue Einsichten in das Thema.
Wie wichtig ist zum Beispiel die Textur für den Geschmack? Welchen Einfluss haben frühkindliche oder kulturelle Einflüsse? Selbst die Akustik spielt hier eine Rolle. Sie ahnen es bereits, hier kommen viele Komponenten zusammen! Die gelernte Köchin und studierte Ernährungsökonomin analysiert hier, warum eine Rote Rübe erdig rüberkommt, die Paprika und Aubergine eher herb und warum Fenchel oder Spinat grasig schmecken. Süß oder sauer war gestern! Wie verändert sich der Geschmack von roh zu gekocht, schmeckt eine Möhre anders, wenn sie geraspelt, gehackt oder in groben Stücken zubereitet wird? Das ist schon alles recht interessant – richtig spannend wird es dann aber in den Rezept-Kapiteln.
Wissen trifft Kreativität
Jedes Gemüse poträtiert Antje de Vries mit Liebe, Hingabe und fast wissenschaftlichem Ehrgeiz, aber auch Methode für den abenteuerlustigen Leser. In den Geschmacks-Insights erklärt sie beispielsweise bei der Erbse, wie und warum sich der Geschmack von süß bis mehlig entwickelt. Dazu gibt es diverse Geschmacksexperimente: Probieren Sie mal ein rohes Stück Rote Bete mit etwas Zartbitterschokolade!
Und dann kommen noch die wunderbaren Rezepte. Was mir hier so gefällt, sind die extrem unterschiedlichen Ideen für jedes Gemüse. Die Möhre beispielsweise verwandelt Antje de Vries roh in einen Salat, supersüß als Dessert, klassisch gedünstet zur gefüllten Hühnerbrust und gebacken mit Gremolata und (leaf to root!) Möhrengrün-Öl.
Als erstes habe ich mich für die Erbse in zwei Varianten entschieden: zunächst das Lamm Keema biryani, also ein indisches Reis-Hack-Gericht mit Erbsen und Joghurt-Raita. Die 35-Jährige Ostfriesin nennt es eine wohlig-wärmende Geschmacksexplosion. Und recht hat sie! Ihre frische Currypaste ist der Wahnsinn – nie mehr streue ich nur trockene Gewürze in die Pfanne. Jetzt, wo ich die – gar nicht mal so aufwendige – Methode kenne, werde ich immer erst die trockenen Gewürze (hier waren es Sternanis, Zimt, Nelken und Chili) im Mörser zerstoßen, dann den gehackten Ingwer und Knoblauch dazugeben und weiter zu einer Paste stampfen. Das gibt dem Gericht genau diese komplexe Würze, um es Wow! werden zu lassen.
Den eigenen Geschmack erkunden
Geschmacklich auf einer ganz anderen Skala liegt die Erbse in der zweiten Variante: minziges Erbspüree mit Kaiserschoten und Jakobsmuscheln. Zwar vielleicht von der britischen Pub-Küche inspiriert, aber mit Crème fraîche und brauner Limettenbutter, spielt diese Komposition gewiss in einer ganz anderen Liga. Dass Frau de Vries auch von Eckart Witzigmann inspiriert wurde, merkt man bei Kreationen dieser Art, und auch, dass sie keine Scheu vor großen Mengen an Butter, Sahne und Crème fraîche hat, könnte aus der Zeit der Nouvelle Cuisine stammen. Mir persönlich war das manchmal etwas zu viel (hier kommen je 250 g Butter und Crème fraîche auf 1 kg Erbsen), das würde ich das nächste Mal etwas reduzieren, aber davon abgesehen war auch dieser Teller ein Traum!
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Auch wenn das Gemüse immer der Star ist, ein rein vegetarisches Kochbuch ist es dennoch nicht, wie auch mein dritter Versuch bestätigt. Hier gesellen sich zu der im Ofen karamellisierten Rote Bete noch saftige Lammkoteletts und Ziegenfrischkäse. Die frischen Rüben werden in Stücke geschnitten und mit Knoblauch, Walnussöl, Honig und Zitronenthymian gebacken. Köstlich!
Die poppig-bunten Bilder im Einführungsteil stammen von diversen Fotografen bei Getty Images. Sämtliche Food-Fotos dagegen wurden von Justyna Dembowski und der Autorin gemeinsam in Szene gesetzt und von Vivi D’Angelo fotografiert. Auch hier zeigt sich die wunderbare Synthese von Können und Kreativität.
„Abenteuer Geschmack“ ist ein Kochbuch, das dem Leser einen Weg eröffnet, das aromatische Potenzial von Gemüse zu verstehen, auszuprobieren und anzuwenden. Antje de Vries stellt auf 288 Seiten 15 Gemüsesorten von Spinat über Aubergine und Pilze in diesem Kontext methodisch und inspirierend vor. Ihre kreative Herangehensweise und Perspektive ist ansteckend, die Geschmackserlebnisse sind beeindruckend. Man lernt hier zweifellos fürs Leben.
Veröffentlicht im August 2020