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Katharina Höhnk

Kochbuch von Anna Niedermeier, Nora Scholz, Katharina Pflug: Recipes Welcome ★★★★

Recipes Welcome – Leibspeisen
von Geflüchteten
Anna Niedermeier, Nora Scholz,
Katharina Pflug
Recipes Welcome e. V. (2019, 2. Aufl.)

Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.

Charlotte Schrimpff

Von

Was würden wir tun? Was würden wir kochen, wenn wir – weit weg von hier – in der Küche eines Flüchtlingsheims stünden und dieses dringende Bedürfnis hätten nach ein bisschen Wärme und Geborgenheit? Gäbe es Knödel, Kohl und Schweinebraten wie bei Oma? Pfannkuchen, Linsensuppe und Pudding wie bei Mama? Oder gäbe es das, was es sonst auch immer gibt: Indisches Curry und italienische Pasta, israelische Falafel und französische Quiche – all das, was der weltgewandte Neuzeitler eben so mag?

Das fragt man sich, wenn man beim Essen sitzt. Wenn man abwechselnd eritreisches Zigni und äthiopisches Misir Wot in den Mund nimmt und ihre Aromen entdeckt – die sämigen Linsen mit Knoblauch und Ingwer, das feurige Berbere-Lamm.

Kochbuchautorinnen Anna Niedermeier, Nora Scholz & Katharina Pflug

Die Sache mit der Zwiebel

Anna Niedermeier, Nora Scholz und Katharina Pflug (Foto links v. l. n. r.) haben sich diese Frage schon vor vier Jahren gestellt. 2015, als Millionen Flüchtlinge nicht mehr nur in Schlauchbooten durch die Nachrichten schlingerten, sondern leibhaftig auf Deutschlands Bahnhöfen standen. Als die einen von „Krise“ sprachen und die anderen von „Wir schaffen das!“ Niedermeier, Scholz und Pflug wandten sich da an den UNHCR, an Flüchtlingswohnprojekte und Freiwillige – auf der Suche nach Menschen, die ihnen weiterhelfen könnten.

Zwei Jahre, zehn Kilo Zwiebeln, 14 Fluchtgeschichten und 60 Rezepte später hielten sie „Recipes welcome“ in den Händen – ein Kochbuch mit den Leibspeisen von Geflüchteten. Und nicht nur sie: Weil sich kein Verlag finden wollte, der den leuchtend gelben Band ins Programm aufnahm, starteten die drei kurzerhand ein Crowdfunding. Inzwischen ist die so finanzierte erste Auflage vergriffen, eine zweite gerade gedruckt.

Auch ich gehöre zu den 671 UnterstützerInnen. Weil ich – wie Niedermeier, Scholz und Pflug – glaube, dass wir uns viele Debatten schenken könnten, wenn wir uns einfach mal gemeinsam in die Küche stellten. Weil wir feststellen würden, dass nicht nur bei uns, sondern auf der ganzen Welt zuerst die Zwiebel geschält, geschnitten und gebraten wird und dass uns beim Kochen und Essen (und Fühlen und Denken) so viel mehr eint als trennt.

Wir kochen alle nur mit Wasser

Wie die Sache mit dem Augenmaß. Eine meiner ersten Erkenntnisse beim Nachkochen ist: Hier arbeiten wir aus der Lameng. Der Teig für die Injera soll zum Beispiel „pfannkuchenartig“ sein, gerät mir nach Rezept aber reichlich dicklich. Also: mehr Wasser. Ein Kuchen ist nach der angegebenen Backzeit nur außen schon durch? Backen wir halt länger. Solche Flexibilität braucht auch manche Zutat: Korarima und Koseret zum Beispiel, zwei klassische äthiopische Gewürze, waren in unserer Kleinstadt nicht aufzutreiben. Eine Internetrecherche riet mir, es ersatzeshalber mit Kardamom und Oregano zu versuchen – et voilà.

Obwohl das Glossar am Ende des Bandes sehr ausführlich ist, wäre ich an mancher Stelle ohne Suchmaschine (oder eine/n Bekannte/n entsprechender Nationalität) stecken geblieben. Das sind die Momente, in denen man merkt, dass hinter den drei Frauen aus Nürnberg und Fürth keine professionelle Verlagsmaschinerie steht, sondern Menschen wie Du und ich. Jeder, der schon einmal versucht hat, nach Omas Angaben („Ich mach das so nach Gefühl…“) Rezepte zu notieren, wird wissen, was ich meine.

Umso mehr Energie haben Niedermeier, Scholz und Pflug in die Gestaltung gesteckt – in die handgezeichnete Karte der Herkunftsländer der Köchinnen und Köche zu Beginn des Buches, in die ruhige und liebevolle Inszenierung der Essen, in die Geschichten hinter den Gerichten. Sie holen die Köchinnen und Köche mit an den Tisch: Nejat aus Eritrea, Betesayda aus Äthiopien, Aqib aus Pakistan und Ruket aus Tschetschenien.

In der norddeutschen Tiefebene, hat (m)eine nicht-repräsentative Feldforschung ergeben, gibt es kaum ein Dorf, in dem nicht mindestens ein Grieche oder Italiener auftischt – kulinarische Spuren der ersten Einwanderergeneration. Ich freue mich schon heute auf den Tag, an dem man mindestens so häufig (und selbstverständlich) beim Afghanen, Eritreer, Syrer, Namibier oder Iraker essen kann. Wer weiß: Vielleicht trägt „Recipes Welcome“ seinen Teil dazu bei.

Veröffentlicht im Dezember 2019

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