Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
Länderküchen-Kochbücher werden meist traditionell ausgearbeitet. Im Mittelpunkt stehen Gerichte, wie sie schon immer zubereiten wurden. Neues? Modernes? Fehlanzeige. Nicht so bei diesem Kochbuch. Das liegt nicht an einer Neuinterpretation der Rezepte, sondern an einer gekonnten Rezeptauswahl. Autor Andy Harris versteht seine modernen Leser und ihre Kochgewohnheiten. Seine Zusammenstellung beweist, dass es einen anderen Weg gibt: Frische und kleine Sache versus spartanische und durchgekochte Großmahlzeiten.
Gewürzküche Marrakesch ist ein schönes Buch. David Loftus fotografiert Land und Leute mit viel Tageslicht. Viel Farben ziehen sich durch die Seiten. Die Fotos schaffen eine lebendige Atmosphäre zu den Gerichten. Ganz klar, man nimmt das Kochbuch gerne zur Hand, aber ich hätte nicht auf den ersten Blick die Besonderheit erkannt, weil das Cover nicht gerade ein Knaller ist.
Marrakesch bedeutet schnell vor allem Tajine, Hülsenfrüchte und Teigtaschen. Hier nicht. Harris schlägt den großen Bogen und lässt die little Things auf die Bühne: Frühstück, Salate, Suppen, Teigtaschen, Tajines, Braten, Desserts, würzige Zutaten, Saucen und Beilagen. An dem Kapitel mit den Salaten habe ich mich erst festgesehen, dann festgelesen: Blumenkohl-Oliven-Salat, Orangen-Fenchel-Salat, Avokado-Kaki-Melonen-Salat, Granatapfel-rote-Zwiebeln-Salat, Zucchinisalat, Kartoffeln-Oliven-Salat und mehr. Mein nächster langer Stop folgte kurz danach bei eingelegten Zitronen, Gemüse, selbstgemachtes Ras el hanout, Kreuzkümmelsalz, Amlou (nordafrikanische Gegenstück von Erdnussbutter: mit Mandeln, Arganöl und Honig) sowie Hibiskussirup, Granatapfel-Dressing. Und auch das Dessert-Kapitel hat mich fasziniert. Soll ich weitermachen? Gut gefallen haben mir die Übersichten zu marokkanischen Gewürzen, Zutaten und Getreide, die im Buch leider etwas untergehen.
Andy Harris ist Engländer und besucht seit zehn Jahren alljährlich einen Freund in Marrakesch und zieht mit ihm über Märkte und in Restaurants. Er ist kein Heimischer, aber genau das macht seinen Blick wohl aus. Er selbst bleibt optisch im Hintergrund. Anders als seine englischen Kollegen scheut er den Blick in die Kamera und lässt der Küche den Vortritt.
Mein Nachkoch-Lauf begann fantastisch. Bei den Zutaten erwartete mich kein Hindernisparkur. Ein Knaller folgte dem anderen. Vor allem die perfekte Würzung ließ unsere Geschmacksknospen aufhorchen, die Zubereitung blieb dabei charming unkompliziert. Es hätte ewig so weitgerhen können. Allerdings erlebte ich im Suppenkapitel zwei Bauchlandungen und zwar so sehr, dass das Aufessen nur dem schlechten Gewissen geschuldet war. Zwar hatte mir mein Koch-Know-How heftig gewunken „Kann nicht sein!“, aber … Mein Ratschlag an Euch: Wenn es allzu offensichtlich ist, bitte die Führung übernehmen.
Gewürzküche aus Marrakesch ist ein Buch, dem ich in meiner Kochbuch-Bibliothek gerne ein Zuhause gebe und immer wieder nutzen werde, vor allem im Sommer. Nicht nur mein Gaumen fühlt sich beglückt, sondern auch die Köchin an Wochentagen. Harris gelingt die Brücke zwischen nordafrikanischer Länderküche und kulinarischen Bedürfnissen auf diesem Breitengrad.
Veröffentlicht im Mai 2013