Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Das Ganze beruht auf einem Missverständnis: Glaubt man nämlich Sterneköchin Sybille Schönberger, die mit Amy Chaplins Buch zunächst überhaupt nichts zu tun hat, dann wird „gesund“ (zu) oft mit „nicht lecker“ übersetzt, vor allem von Kindern. Und weil wir alle mal Kinder waren und sich manche Dinge einfach tief ins Hirn brennen, hat Schönbergers Beobachtung doch was mit „Celebrating Whole Food“ zu tun. Vollwertige Küche? Gesund? Das kann nicht schmecken! Oder doch?
Ich gestehe: Ich war skeptisch. Das, was Amy Chaplin in ihrem ausführlichen Vorwort ausbreitet – eine Kindheit im Hinterland Australiens, ein vom Vater Ziegel für Ziegel selbstgebautes Haus, ein Garten, in dem fast alles wächst, was auf dem Esstisch landet – las sich für mich im ersten Moment ein bisschen sehr idyllisch und idealistisch.
Ein Gang durch die Speisekammer
Ein paar Kapitel und die ersten Rezepte später allerdings war klar: Das muss so. Das ist echt, das ist Amy Chaplin. Angenehm unprätentiös berichtet die New Yorker Privatköchin, Rezeptentwicklerin und Bloggerin in den nicht minder ausführlichen Präambeln, wie ihre Liebe zu unverfälschtem Essen entstand: Unter der Überschrift „Ausrüstung“ erläutert sie, warum sie Glasbehälter liebt und ihr Wasser filtert (= um Rückstände von Fluor und Chlor zu entfernen, was in Deutschland in aller Regel nicht nötig ist). Bei ihrem Gang durch die Speisekammer hält sie bei jeder Zutat inne, erklärt – etwa, was genau Yakon-Sirup ist (= ein japanisches Süßungsmittel), und versorgt einen gleich mit Zubereitungstipps (= mit einem Stück Kombu im Kichererbsenwasser für noch besseren Geschmack). Sie tut das nicht, weil es gerade so schön in den Wir-sind-alle-so-nachhaltig-mit-unseren-Jutebeuteln-Zeitgeist passt, sondern weil sie es von klein auf so gelernt hat und überzeugt ist, dass es richtig ist.
Bei mir rennt sie offene Türen ein: Auch mir ist es wichtig, dass meine Zutaten möglichst naturbelassen sind, mit möglichst geringem Einfluss auf Umwelt oder andere Lebewesen hergestellt wurden und möglichst komplett verwertet werden. Denn wie Chaplin glaube ich, dass man das mitunter schmeckt.
Gesund? Schmeckt!
Und geschmacklich macht ihrer gesunden Küche so schnell keiner was vor. Von ein, zwei Reinfällen abgesehen – allen voran die Dinkel-Mandel-Waffeln und ein Reisgericht namens Kitchari – waren sämtliche der zahlreich probierten Rezepte nichts als gelungen. Dank sowohl imperial als auch kontinentaleuropäisch notierter Maße und verständlicher Beschreibungen gelingen auch „Experimente“ wie mit Agar-Agar gelierte Nussmilch oder gepoppter Amaranth. Auf allzu exotische Zutaten oder die unsäglichen „Superfoods“ wird meist verzichtet, und wenn doch etwas nicht in/auf jedem (Bio-)Markt erhältlich sein sollte – Stichwort Yakon-Sirup – liefert Chaplin die Austauschvorschläge in der Regel mit.
Die Gerichte verteilen sich auf zwei Großkomplexe: Zunächst Essen, die sich aus der besagten idealen Vorratshaltung bestreiten lassen, und Essen, für die man zukaufen muss. An jede Mahlzeit des Tages ist gedacht – mit einem bunten Mix aus den vollwertigen vegetarischen Küchen dieser Welt: Von makrobiotischer Misosuppe über Pilaw mit Quinoa und Mandeln bis zu Lasagne mit Kürbis und Tofu. Geschmäcker und Konsistenzen wurden jeweils fein austariert und aufeinander abgestimmt.
Die Tipps, die Chaplin am buchstäblichen Rande gibt, sind Gold wert – allen voran die so simple wie geniale Idee mit den Nüssen: Auch, wenn es keine der angegebenen Gesundheitsvorteile hätte – geröstet schmecken sie so unendlich viel besser! Kein Mensch braucht da noch Schokolade drumherum („Küsschen“) oder Öl oder irgendeinen anderen Firlefanz („NicNac’s“). Nüsse knacken, kurz anrösten und fertig ist der Hochgenuss.
Auch wenn „Manifest“ die falschen Assoziationen weckt: „Celebrating Whole Food“ ist Chaplins 372-seitiges, 1,56 Kilo schweres Opus Magnum. Der Ort, an dem sie ihre gesammelte Küchen- und Ernährungserfahrung ausbreitet, der, an dem sie einen ganz langsam, Rezept für Rezept, zu der Erkenntnis führt: Gesund schmeckt – und zwar richtig, richtig gut! Dass Johnny Millers zurückhaltende Bilder und das so schlichte wie großzügige Layout dem Ganzen den richtigen Rahmen verpassen – es versteht sich fast von selbst.
Update: Die Rezension ging Januar 2016 anlässlich der englischen Originalausgabe online und wurde nun anlässlich der deutschsprachigen Ausgabe editiert. K.H.
Veröffentlicht im Dezember 2016
Wie schön, dass Euch Amy Chaplin auch begeistert. Ich bin vor einiger Zeit über amerikanische Seiten auf Blog und Buch gestoßen. Kann es sein, dass ein Buch, das den Anspruch „gesund“ hat, es erst einmal schwerer hat, positiv aufgenommen zu werden? Es ist so ein Eindruck entstanden, besonders seit wir unsere Ernährung auf whole food plant based umgestellt haben. Trotzdem finde ich noch jede Menge Anregungen auf Valentinas und bin nach wie vor begeisterte Leserin!
Ich spreche hier nur für mich, ich glaube im Team ist die gesamte Bandbreite der Meinungen zu dem Thema Gesund vertreten – wie im echten Leben. Im Moment ist das Thema Gesund kulinarisch so dominierend, dass aus meiner Sicht immer wieder das Zentrale verloren geht: dass es schmecken muss.
Wenn ein Rezept so aufbereitet wird, dass nur der Gesundheitsvorteil im Mittelpunkt steht, aber völlig vergessen wird zu erzählen, was es kulinarisch auszeichnet und ob es schmeckt, dann schläft mein Interesse ein, auch weil ich denke, ums Schmecken geht es hier nicht. Schließlich kann jeder Zutat Gutes abgewonnen werden. Und ich möchte immer, dass es schmeckt. Im Grunde bin ich zutiefst überzeugt: Wer selber kocht, ernährt sich sehr gut (und ich meine hier echt selber kochen mit guten Zutaten) und Dein Körper und Geschmacksinn weisen Dir den Weg, was für Dich gut ist.
Andererseits kann ich dem Gesundheitstrend einiges abgewinnen wegen neuer köstlicher Zutaten und Kompositionen von Gerichten.
Wiederum andererseits sehe ich, dass das Thema auch gepuscht wird, weil damit eben auch viel Geld zu verdienen ist. Und schließlich finde ich es ein interessantes Zeitphänomen, dass das Bedürfnis nach Kochen unter dem Aspekt „Gesund“ so viel Potential hat.
Aber die Frage an Dich: Vermittelt nicht jedes Kochbuch zB von Ottolenghi, Nigel Slater Gesundes?
Ich bin mir nicht sicher, ob das Thema „Gesund“ ein vorübergehendes Zeitphänomen ist. Je älter wir werden, desto mehr machen wir im Freundeskreis die Erfahrung, dass Menschen erkranken. Und dann steht plötzlich die Ernährung auf dem Prüfstand und man macht sich Gedanken über gesundes Essen. Ich finde nicht, dass gesund sein und gut schmecken einander ausschließen müssen. Selbst kochen halte ich ebenfalls für eine Grundvoraussetzung, glaube aber schon, dass es Lebensmittel gibt (Milch, Fleisch), die unsere Gesundheit nicht gerade fördern, auch wenn die Tiere noch so artgerecht gehalten wurden.
Zu Deiner Frage: Ja, Ottolenghi und Nigel Slater haben viele wunderbare und auch gesunde Rezepte, ich benütze beide Bücher ausgesprochen gerne!
Ein Buch, auf das ich Deine Aufmerksamkeit lenken möchte, ist das Kochbuch Plant Pure Nation von Kim Campbell zum gleichnamigen Film. Dort hat es zum Beispiel wunderbare Salatsaucen ohne Öl (!).
Liebe Grüße
Ah, sicher, diese Perspektive verstehe ich. Merci für den Tipp. Gehe ich natürlich gerne nach. 🙂