Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Entschuldige dich niemals für dein Essen, ist einer der Leitsätze, die Alison Roman ihren Leser:innen mit auf den Weg gibt. Denn ein guter Abend mit Freunden ist für die Kochbuchautorin und Food-Kolumnistin vor allem eins: Entspannt. Auf dem Tisch: „Nothing Fancy“, also nichts Besonderes – das dann aber doch ein bisschen überraschen darf.

Die Amerikanerin Alison Roman (Foto links) ist Kolumnistin für den Food-Teil der New York Times und hat sich auf Instagram und YouTube eine große Fangemeinde erkocht. Ihr Markenzeichen: knallrot lackierte Fingernägel, die auch auf dem Cover ihres neuen Buches abgebildet sind. Gewidmet hat sie es ihrer Großmama Prue „die mich lehrte, wie wichtig Crudités, eisgekühlter Weißwein und orangeroter Nagellack sind“.
Ihr neues Buch strotzt auf jeder Seite vor Lässigkeit: Bei Alison Roman, so der Eindruck, wird bevor Besuch kommt nicht aufgeräumt und feucht durchgewischt, sondern nur ein bisschen Platz auf dem Tisch geschaffen, damit allerlei Schälchen mit Dips, viel Wein und Brot darauf Platz finden. In „Nothing Fancy“ geht es ihr auch darum, Menschen zu Gastgeber:innen zu machen.
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Regel Nummer 1: Man sollte sich helfen lassen, statt hektisch in die Küche zu verschwinden, um das Essen fertig zu machen. Regel Nummer 2: Prioritäten setzen. Im Hause Roman kommt Essen dann auf den Tisch, wenn es fertig ist – das muss nicht für alle Elemente eines Hauptgerichts der gleiche Zeitpunkt sein. Und dann eben: Keine Entschuldigung. „Es ist kein Restaurant – macht euch nicht den Druck, so zu tun, als wäre es eins.“
Ich gestehe, dass ich dieses Level der Gelassenheit noch lang nicht erreicht habe, gern aber bei einer erfahrenen Gastgeberin in die Schule gehe. Wichtig ist, dass genug Wein kalt steht und ein paar Snacks auf dem Tisch stehen – dazu gibt es in Kapitel 1 viele gute Ideen. Es folgt ein Kapitel zu Salaten, dann Beilagen, Hauptgerichte und Nachtisch: So weit, so klassisch.
Fotografiert sind alle Gerichte mit inszenierter Lässigkeit: Da bleiben Zwiebelschalen und Kronkorken auf dem Tisch liegen, kein Teller passt zum anderen, Wein wird aus Wassergläsern getrunken. Und immer: ein üppig gedeckter Tisch – großzügig, vielfältig, ansprechend.
Ähnliches gilt für die Rezepte selbst: Die Zutatenlisten sind kurz, haben aber meist mindestens ein oder zwei Überraschungen parat, wenn etwa grüne Bohnen mit Walnuss und Sardelle kombiniert werden oder Ziegenfrischkäse mit geschmorten Zitronenstückchen daherkommt. Unter jedem Rezept der Hinweis „Vorbereiten“ – um Gastgeber:innen möglichst früh aus der Küche zu holen, schlägt Alison Roman vielfach vor, die Gerichte einfach schon am Vortag zu machen, nicht selten mit dem Hinweis „schmeckt auch kalt“.
Alison Roman:
„Es geht hier nicht um Ehrgeiz, sondern um das echte Leben. So eins, in dem man bis zur Ankunft der Gäste auf keinen Fall genug Zeit hat, einen ganzen Topf Rippchen zu schmoren (es aber trotzdem versucht), aus Versehen den Kuchen verbrennt (diese Teile einfach abschneiden) und nicht genug Stühle für alle hat (auf dem Boden sitzen?). Das ist unser Leben, ein großes Durcheinander, nothing fancy – und ich bin mir sicher: Ihr wollt es gar nicht anders.“
Angefixt von vielen guten Ideen, koche ich mich an einem einzigen Nachmittag durch das halbe Kochbuch: Am Abend stehen ein knofeliger Rote-Beten-Dip, knuspriger Halloumi mit Honig und Pistazie, cremiger Ziegenfrischkäse mit zitronigem Zata’ar, Sesam-Mohn-Brotstangen, senfwürzige grüne Bohnen mit Sardellen-Walnüssen und gerösteter Kürbis mit Joghurt und gewürzten, gebutterten Pistazien auf dem Tisch – dazu habe ich noch eine Focaccia gebacken und natürlich viel Wein kalt gestellt. Zum Nachtisch gibt es Sauerkirsch-Sesam-Galette. Tatsächlich entschuldige ich mich nicht dafür, dass die Focaccia reichlich trocken ist und sich offensichtlich nicht zum Vorbereiten eignet, sondern genieße den Abend mit Freund:innen, an dem ich nur dann in die Küche muss, um aus dem Kühlschrank eine neue Flasche Wein zu holen.
Die Rezepte sind einfach und haben doch immer einen besonderen Kniff, man kann sie fast wahllos kombinieren und fast alle gut vorbereiten. An manchen Stellen übertreibt es Alison Roman sicherlich mit ihrer Lässigkeit – nicht nur optisch, sondern auch in den Rezepten: Vor allem bei den Backzeiten und Temperaturen sollte man der eigenen Erfahrung trauen und lieber zwischendurch mal einen Blick in den Ofen werfen.
„Nothing Fancy“ ist bewusstes Understatement für das, was Alison Roman in ihrem neuen Buch zusammengetragen hat: lässige, aber doch besondere Rezepte für gesellige Abende. Ein Buch, das auch ungeübten Gastgeber:innen Mut macht, auch mal an stressigen Tagen Freunde um den Tisch zu versammeln und mit leckerem Essen zu verwöhnen – ohne den Anspruch, alles perfekt zu machen.
Veröffentlicht im Juli 2022