Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
„Morgens, halb zehn in Deutschland“ – Sie erinnern sich? Menschen – vom Lkw-Fahrer bis zum Schulkind –, die in Schoko-Waffel-Quadrate beißen, die ihr Hersteller „Frühstückchen“ nennt? Agnes Prus, ich bin mir sicher, erinnert sich. Warum sonst hätte sie ein Kochbuch „halb zehn“ getauft, das sich einzig und allein um Frühstücke dreht? Dabei, das gleich vorneweg, haben ihre nichts, aber auch gar nichts mit quietschsüßen Snacks zu tun …
Und das mit der Uhrzeit sieht sie auch nicht so eng: „Ob um halb zehn morgens, um halb zehn abends oder irgendwann dazwischen“ – ihre Frühstücke, meint Prus, gehen immer. Und spätestens da hat sie mich. Das Erste, wonach ich schaue, wenn ich sehe, dass ein Café auch Frühstück serviert, ist: wie lange? Kann ich auch um vier noch ein Omelett bestellen, Müsli, Marmelade und Croissant? Oder ist um elf Uhr Schluss?
Dass man überhaupt frühstücken geht, gehen kann, ist neu. Zu Hochzeiten der blau-weiß-verpackten Waffel-Quadrate traf man sich allenfalls zum Brunchen, versteckte seinen täglich’ Toast aber lieber hinter der Zeitung. Seit uns Smartphones von diesen unhandlichen Sichtbarrieren befreit haben und Instagram zeigt, dass buntes Frühstück mehr ist als Müsli mit Obst, scheinen die Dämme gebrochen: Porridge! Granola! Shakshuka! French Toast! Wir trinken Chai dazu und Matcha Latte und freuen uns des Daseins.
Zwischen den Zeilen lesen lohnt
Rein optisch erinnert „halb zehn“ an die Karte eines dieser neuen Frühstücks-Spots: die schlicht-serifenlose Schrift, der großzügige Weißraum, das matte Papier – alles sehr zeitgeistig, sehr kinfolkig, sehr schön. Und sicherlich würde in diesem Laden genauso serviert wie auf Yelda Yilmaz’ Bildern: Lässig, bunt – und sehr appetitlich. Ob da Prus’ Gastro-Vergangenheit durchschlägt? Bevor sich die studierte Kunsthistorikerin ganz auf ihre kleine Familie bzw. Kochbuchautorenschaften verlegt hat, gehörte sie zum Team eines jungen Cafés in Köln. (Foto unten: Agnes Prus l., Yelda Yilmaz r.)
Nur der Umfang von „halb zehn“ dürfte jede Speisekarte sprengen: Es gibt allein 26 verschiedene Gebäcke, die bei Prus allesamt handgemacht sind – gern mit Sauerteig, bebilderten Anleitungen und ganz viel Zeit (Roggenbrot! Brötchen mit Walnüssen! Bagels und Croissants!). Dazu Eierspeisen von Eggs Benedict über Variationen von Rührei bis hin zu Eiern im Glas. Wer es süß mag, kommt bei Dutch Baby, Granola und Sesamschnecken auf seine Kosten, Freunde herzhafter Kost halten sich an Hummus, Pfifferlingsstulle oder pikantes Porridge.
Wem das in Zeiten von Açai-Bowls und Overnight Oats irgendwie zu bodenständig klingt, wirft einen Blick zwischen die Zeilen. Dort warten Dinge wie Balsamico, der Erdbeeren aromatisiert, Za’atar, das britische Baked Beans ergänzt, oder ein rotes Sauerkraut, das mit Meerrettich geadelt wird. In kurzen Rezeptteasern erzählt Prus, wie und wo ein Gericht entstand, nennt Variations- und Austauschmöglichkeiten und erklärt, worauf zu achten ist.
Breakfast all day long
Wir – meist klassische Brötchenfrühstücker – versuchten uns zum Auftakt an den English Muffins mit Sauerteig, deren Handling nicht ganz simpel war, die letztlich aber prima gelangen. Auch die Challah gefiel, weil sie sich gut vorbereiten lässt und morgens nur noch aufgeschnitten werden muss. Die tolle Frittata mit Kartoffeln, Paprika und Feta und die Galettes bretonnes genossen wir ganz im Sinne des Breakfast-all-day-long zum Abend, und die kuriose Tomatenmarmelade mit Chili gibt es wie vorgeschlagen vor allem zu Käse und anderen kräftigen Begleitern. Und immer noch kleben zahllose Zettel im Buch: Everything Bagels stehen schon ewig auf meiner Liste, die Sesamkringel schreien förmlich danach, in Nachmittagskaffee getunkt zu werden, und den Schoko-Chai gibt es jetzt, wo die Tage wieder so kurz sind, auch ganz bald.
Sorry, Schrippe, aber du hast vorläufig Pause: Mit Agnes’ Ideen frühstückt es sich einfach so viel interessanter, abwechslungsreicher und bunter. Und zwar bequem daheim – wer mag, sogar im Pyjama. Und, psst: Ein Rezept für selbst gemachte Schokocreme gibt es auch!
Veröffentlicht im November 2018