Zwei Schwestern, ein Supper Club in Zürich und eine Crowdfunding-Kampagne ergeben ein Kochbuch von bemerkenswerter Qualität. Hier erzählt Anna Pearson über die Entstehungsgeschichte, wie man aus kritischen Gästen Innereien-Liebhaber macht und was auf ihrem Nachtisch liegt.
Katharina: Anna, bevor Du Kochbuch-Autorin wurdest, hast Du einen Supper Club bei Dir in Zürich gegründet zusammen mit Deiner Schwester Catherine. Was war euer Konzept und Dein Beweggrund, Fremde privat zu bewirten? Immerhin über eine Dauer von 6 Jahren und 50 Tafelrunden.
Anna: Es gibt verschiedene Gründe, weshalb ich dieses Projekt gestartet habe: Zum einen begann ich zu dieser Zeit gerade als Kochpraktikantin in einem Restaurant zu arbeiten und suchte nach einer Möglichkeit, meine eigenen kulinarischen Ideen umzusetzen. Ich hatte zwar einen tollen Küchenchef, bei dem ich meine Ideen einbringen durfte, es ging mir bei unserem Supper Club „a tavola!“ aber darum, von A bis Z ein eigenes Projekt ganz nach meinen persönlichen Vorstellungen zu schaffen: von den Menüs über die Raumgestaltung bis zu den handgenähten Servietten und der Musik.
Da meine finanziellen Möglichkeiten sehr begrenzt waren, lag es nahe, ein Gastrokleinstprojekt in diesem halbprivaten Rahmen bei uns zu Hause zu veranstalten. Ein weiterer Grund war, dass ich etwas machen wollte, das meine persönlichen Bedürfnisse als Gast befriedigen würde. Bei meinen Überlegungen hat sich herausgestellt, dass für einen perfekten Abend folgende Aspekte wichtig sind: gute Gesellschaft, eine einmalige Atmosphäre, die Möglichkeit, einfach genießen zu dürfen und natürlich: gutes Essen, das in einem persönlichen Rahmen serviert wird.
Konkret führte dies also zu folgendem Konzept: 10 Personen sitzen gemeinsam an einem langen Tisch in einer schönen Gaststube. Sie müssen sich keine Gedanken über die Wahl der Gerichte machen, sondern bekommen ein Menu surprise zu einem Thema serviert, zu dem die passenden Weine eingeschenkt werden.
Katharina: Verrate uns: Wie stellt man ein gutes Menü zusammen für 10 Personen und wie erarbeitest Du es Dir? In deinem Kochbuch tragen sie vielversprechende Namen wie Federvieh und Sommergarten.
Anna: Meine Themen waren oft von der jeweiligen Jahreszeit inspiriert, wie das Kapitel „Wintergarten“ im Februar oder „Sommergarten“ im August. Oder es gab ein Thema, das mir am Herzen lag, etwa im September „Schnörrli & Schwänzli“, wo ich in fünf Gängen viele Stücke vom glücklichen Wollschwein serviert habe, die in einem Restaurant kaum auf den Teller kommen, weil sich die Menschen teilweise so von unseren Nahrungsmitteln entfremdet haben, dass sie sich z.B. vor Innereien ekeln.
Ich finde aber, wir sind es dem Tier schuldig, alles von ihm zu essen. Um diese Botschaft weiterzugeben, entwickle ich z.B. ein schönes Gericht mit Herz: die meisten unserer Gäste hätten das wohl nicht bestellt, wenn sie die Wahl gehabt hätten, aber am Schluss waren alle begeistert von den „Hacktäschli mit Herz“, die ich serviert hatte.
Ein Supper Club ist für mich als Köchin eine tolle Möglichkeit, Leuten Gerichte aufzutischen, die etwas mehr Mut brauchen – es hat immer funktioniert, ich habe schon Gäste „rehabilitiert“, die meinten, sie mögen keinen Fisch oder keinen Sellerie. Manchmal muss man die Leute eben zu ihrem Glück zwingen …
Katharina: Was ist Dein kulinarisches Leitmotiv, wenn Du Gerichte und ihren Rahmen komponierst?
Anna: Die verwendeten Produkte spielen eine Hauptrolle und sind Ausgangslage für alles weitere: ich will mit qualitativ hochwertigen, authentischen, eigenständigen Lebensmitteln kochen, die nachhaltig produziert werden.
Meinen Kochstil würde ich als „ehrlich“ bezeichnen: ich mag keinen Schnickschnack und keine meiner Meinung nach unnötigen Verarbeitungstechniken. Bei allem, was ich koche, überlege ich mir: wird das Gericht wirklich besser, wenn ich es so und so verarbeite? Oft komme ich dann zum Schluss, dass weniger mehr ist und so belasse ich ein Produkt meist möglichst nah an seinem Ursprungszustand: warum soll ich aus Tomaten, Ziegenfrischkäse und Pesto eine kompliziert geschichtete Terrine basteln, wenn ich einfach eine aufgeschnittene, mit etwas Fleur de sel bestreute, sonnengereifte Tomate aus meinem Garten mit etwas zerkrümeltem Ziegenkäse, ein paar Basilikumblättchen und etwas darübergeträufeltem Olivenöl servieren kann?
Ich glaube, diese Herangehensweise kommt auch von meiner Liebe zur italienischen Küche, deren einfacher, ehrlicher Umgang mit guten Lebensmitteln mich stark inspiriert.
Katharina: Du arbeitest weiterhin als Köchin. Was hast Du als „professionelle Gastgeberin“ aus der Zeit des Supper Clubs mitgenommen? Hast Du auch ein paar praktische Tipps für uns?
Anna: Um seine Gäste glücklich zu machen, muss der ganze Rahmen stimmen. Wenn das Essen super ist, aber der Service unfreundlich und das Geschirr hässlich, funktioniert es meiner Meinung nach nicht. Der Gast sollte spüren, dass hier Menschen mit Herzblut am Werk sind, die sich bei jedem Detail Mühe geben.
Ich bekam oft das Feedback, dass bei uns „einfach alles gestimmt“ hat. Außerdem schätzten die Gäste den persönlichen Bezug sehr, den wir ihnen boten: dass ich als Köchin an den Tisch kam und ein Gericht erklärte, dass sie erfuhren, dass ich beim Käser Willi Schmid früh morgens in der Käserei stand und die Kühe besucht hatte, die ihm die Milch lieferten für die verschiedenen Käse, die ich den Gästen auftischte.
Katharina: Daraus ist Dein Kochbuch „zu Tisch“ entstanden, das das letzte Jahr eures Supper Clubs dokumentiert. Einerseits finden sich hier die Menüs, aber es geht weit darüber hinaus – Du erörterst kulinarische Themen und porträtierst lokale Produzenten. Was war Dir konzeptionell wichtig und wie ist das Buch dann über das Jahr entstanden?
Anna: Ich wollte einfach ein Kochbuch machen, das all die Aspekte in sich vereint, die für mich ein gutes Kochbuch ausmachen: Gute Rezepte, die im Kontext eines in sich stimmigen Menüs stehen. Rezepte, die nach Jahreszeit geordnet sind, wodurch automatisch der Fokus auf Regionalität und Saisonalität gelegt wird, was mir sehr wichtig ist.
Da für mich das Kochen weit vor der Küche beginnt, war klar, dass auch die Hersteller unserer Lebensmittel zu Wort kommen sollten, also porträtierte ich spannende Produzenten: eine Tessiner Käserin, einen der besten Metzger, einen Fischzüchter. Dass das ganze Buch auch sehr persönlich daherkommen sollte, war mir klar, denn eben solche Bücher berühren mich selbst am meisten: als Leserin möchte ich etwas über den Buchautor erfahren, seine Meinung hören, lustige Anekdoten aus seinem Alltag erfahren.
Es war mir auch sehr wichtig, Rezepte zu kreieren, die wirklich funktionieren: das bedeutet z.B., die kleinen, aber für ein gutes Gelingen relevanten Details erstens zu erwähnen und zweitens auch zu erklären, damit man die Erkenntnisse auch auf andere Rezepte anwenden kann. Es gibt wirklich erschreckend viele Kochbücher mit schlechten Rezepten, als Köchin merkt man das schon beim Durchlesen, als Amateur erst beim gescheiterten Kochversuch – das finde ich dem Leser gegenüber unfair.
Die Entstehungsweise unseres Buches ist wahrscheinlich eher außergewöhnlich: da meine Schwester, mit der zusammen ich das Buch gemacht habe, auch meine Mitbewohnerin ist, haben wir verteilt über 2 Jahre immer wieder am Buch gearbeitet, nach der Arbeit und am Wochenende. Nach einer Tafelrunde am Samstagabend gab es am nächsten Tag ein Fotoshooting, das fotografierte Essen war dann gleich unser Nachtessen. So ist das Buch nach und nach entstanden.
Katharina: Du hast selber Design studiert, aber Dich nun voll und ganz dem Kochen zugewandt. Bei der Arbeit an dem Buch stelle ich es mir sehr befruchtend vor: einerseits die Designerin und andererseits die Köchin. Da kann nur Schönes wie euer Buch rauskommen.
Anna: Tatsächlich reizte mich genau das: ein ganzheitliches Projekt an der Schnittstelle von Gestaltung, Kochen und Schreiben umzusetzen, also all das, was ich gerne tue und worin ich gut bin.
Für mich und auch für meine Schwester Catherine, die Fotografin und Polygrafin ist und somit für Bilder und Layout zuständig war, wäre es nicht in Frage gekommen, einen Aufgabenbereich abzugeben – wir wollten alles bis zur Wahl des Lesebändchens genau nach unseren Vorstellungen machen. Zum Glück hatten wir mit unseren beruflichen Fähigkeiten und dank der Tatsache, dass wir das Buch auch im Eigenverlag publiziert haben, diese Möglichkeit!
Katharina: Manufakturen und lokale Produzenten sind das Thema der Stunde, auch in Deinem Buch. Du begleitest das Thema als Mitglied von Slowfood schon länger. Wie ist die Situation in der Schweiz? Gibt es Erfolge bei der Vermittlung zwischen ihnen und den Konsumenten? Was beobachtest Du?
Anna: In der Schweiz ist das Bewusstsein im Gegensatz zu anderen Ländern wohl ziemlich hoch. Selbst im normalen Supermarkt kann ich alle Produkte in Bio-Qualität kaufen. Wir haben ein riesiges Angebot an fantastischen Rohmilchkäsen. Auf den lokalen Wochenmärkten gibt es eine große Vielfalt an Gemüsesorten. Hier ist man künstlichen, ungesunden Produkten gegenüber eher skeptisch. Aber natürlich geht auch in der Schweiz der Trend zu immer mehr Convenience-Food, kleine Läden schließen, Bauern geben ihr Höfe auf. Als Slowfood-Aktivistin will ich dem entgegenwirken.
Katharina: Lass uns über das Schwein sprechen, Thema Deines hier vorgestellten September-Menüs. Was zeichnet Schweinefleisch aus, warum ist seine Renaissance im Gange und welchen Produzenten der Schweiz stellst Du aus diesem Anlass in Deinem Buch vor?
Anna: Hm. Gibt es etwas Besseres als Speck? Also ich meine: Schweinefleisch schmeckt doch einfach toll. Leider wird dem Schwein aber immer noch nicht der nötige Respekt entgegengebracht, sowohl dem lebendigen Tier als auch seinem Fleisch gegenüber. So kann nichts Gutes entstehen und deshalb hat das Schwein bzw. sein Fleisch auch kein hohes Ansehen.
Trotzdem gibt es für mich kaum etwas Besseres als Schweinefleisch – vorausgesetzt es stammt von einem glücklichen Tier einer ursprünglichen Rasse, z.B. vom Wollschwein, um das es in unserem Buch geht. Das Fleisch von Metzger Stefan Mathis kann man nicht vergleichen mit konventionellem Schweinefleisch, es ist aromatisch, saftig und außerdem gesund.
Wer einmal so etwas probiert hat, ist auch bereit, den Mehrpreis dafür zu bezahlen und dafür etwas weniger Fleisch zu essen. Gourmets haben das längst erkannt und so landet immer mehr gutes Schweinefleisch auf den Tellern von guten Restaurants. Ganz ehrlich? Ein geschmorter Schweinebauch mit knuspriger Schwarte ist mir 1000x lieber als ein Stück Kalbsfilet.
Katharina: An einer Stelle habe ich gelesen, dass Deine Mutter das bekannte Kochbuch „Moosewood Cookbook“ von Mollie Katzen besitzt, auf einem der Fotos in Deinem Buch sehe ich ein gut bestücktes Kochbuchregal. Welche Rolle spielten (und spielen) das Essen und Kochbücher in Deiner Familie?
Anna: Selber zu kochen und gut zu Essen ist für mich selbstverständlich: ich habe nie etwas anderes erlebt und werde das eines Tages auch so an meine eigenen Kinder weitergeben. Ich stand schon früh zusammen mit meiner Mutter in der Küche, die jeden Tag frisch und sehr gut für uns gekocht hat. Meine Leidenschaft für Kochbücher hat sich später entwickelt und ja: ich besitze einige.
Am liebsten mag ich Bücher aus dem angelsächsischen Raum, sie sind fast immer schöner. Da ich Kochbücher auch für meine Arbeit brauche, habe ich zum Glück eine gute Ausrede, wenn ich mir ein neues Buch anschaffe. Ich habe immer ein paar Kochbücher auf meinem Nachttischchen liegen, in denen ich am Abend schmökere und mich inspirieren lasse. Das sagen übrigens auch viele zu unserem Buch: dass sie es nicht nur zum Kochen brauchen, sondern auch wie eine Art Roman behandeln und vor dem Schlafen darin lesen: ein schönes Kompliment! (Foto oben: Catherine und Anna Pearson)
Katharina: Ungewöhnlich ist, dass ihr das Buch über Crowdfunding finanziert habt? Warum und wie hat es geklappt?
Anna: Da wir das Buch selber herausgegeben haben, mussten wir natürlich dessen Produktion, also den Druck finanzieren. Das Geld dazu fehlte uns und so haben wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Wir waren optimistisch, dass wir den benötigten Betrag zusammenkriegen würden, aber dass dies schon nach 5 Tagen der Fall sein würde, hätten wir nie geglaubt, das war wirklich großartig und eine Bestätigung für unsere Arbeit.
Warum das Projekt so erfolgreich war, hat wohl vor allem mit dem Buch selber zu tun: die Leute fanden das einfach gut und wollten dazu beitragen, dass es realisiert wird. Ich glaube, man hat auch ganz stark gespürt, wie viel Herzblut dahintersteckt und ich glaube, damit und mit einem professionellen Auftritt kann man Menschen wirklich überzeugen.
Katharina: Der Vertrieb ist der Schlüssel für den Erfolg eines Buches. Nachdem ihr euer einmalig schönes gedruckt in den Händen hattet, wie ist es dann weitergegangen?
Zum Glück waren wir mit „zu Tisch.“ schon vor Erscheinen in den Medien, sodass die Leute in den Buchhandlungen danach gefragt hatten, als es noch nicht einmal von der Druckerei geliefert war. Bei uns lief eigentlich alles umgekehrt wie üblicherweise: wir waren nicht in den klassischen Vertriebskanälen, also in einer Verlagsauslieferung drin, weil wir für sie als Kleinstverlag nicht interessant waren.
Die Leute bestellten „zu Tisch.“ direkt auf unserer Webseite, die Buchhandlungen belieferten wir ebenfalls selber, was sehr ungewöhnlich ist. Das hat auch nur funktioniert, weil die Kunden einfach unser Buch wollten und in den Läden danach verlangten.
Grundsätzlich muss ich sagen, dass es sehr schwierig ist, als unbekannte Autorinnen ein im Eigenverlag erschienenes Buch zu vertreiben – in unserem Fall hat es aber sehr gut geklappt und ich würde es sofort wieder tun. Inzwischen können wir unser Buch auch in Deutschland vertreiben, das freut uns sehr.
Katharina: Du planst bereits neue kulinarische Projekte. Wenn man das Glück hat in Zürich zu wohnen, wo kann man Deine Kochkünste derzeit genießen?
Anna: Bis vor kurzem fand weiterhin ein Supper Club bei uns zu Hause statt. Im Winter werde ich aber mit einem neuen Projekt beginnen: einmal pro Monat werde ich in einem Lokal in Zürich eine Tafelrunde veranstalten. Das Konzept wird sich nicht groß ändern, das Ganze findet jedoch in einem größeren und offizielleren Rahmen statt, worauf ich mich sehr freue. Nach sechs Jahren bin ich bereit für etwas Neues!
Katharina: Vielen Dank!
Veröffentlicht im September 2015
gibts schon eine Rezension dafür ?
irgendwie finde ich keinen Link 🙂
Liebe Lucy, zu den Interviews erscheinen keine ergänzende Rezension. Daher kein weiterführender Link. 🙂