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Katharina Höhnk

Interview: Malte Härtig über „Das Glück der einfachen Küche“

Interview zu: Das Glück der einfachen
Küche. Kneten, reiben, zupfen, mischen –
Kochen als sinnliches Handwerk
Malte Härtig & Jule Felice Frommelt
AT Verlag (2020)
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Malte Härtig schloss zunächst eine Kochausbildung ab, bevor er Philosophie an der Universität Witten/Herdecke studierte. Das prägte seinen Zugang zum Kochen: Der Wendländer reflektiert unser Tun, statt sich nur auf das Genusserlebnis zu fokussieren. Seine Werke „Das Glück der einfachen Küche“ und „Von Zen und Sellerie“ sind daher nicht nur Kochbücher, sondern eröffnen auch eine Perspektive, warum uns das Kochen als Vorgang guttut. Ein Gespräch über Einfachheit, Handgeschmack und Spontanität beim Kochbuchschreiben.

Katharina: Deine Kernthese Deines Kochbuchs lautet „Das Glück stellt sich ein, wenn wir einfache Gerichte herstellen und essen.“ Warum ist das so?

Malte: Man kommt dann in den direkten Kontakt. Mit den eigenen Händen, den Lebensmitteln, die man verarbeitet und schließlich sich selbst. Kein Gerät lenkt ab und macht die Arbeit. Das ist befriedend, weil man die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten erkennt und das beglückende Gefühl spürt, das in unseren Händen liegt.

Katharina: Du bringst in Deinem Buch neben dem Aspekt der Einfachheit den Begriff des Handgeschmacks ein, angelehnt an dem koreanischen Ausdruck „Son mat“. Warum ist aus Deiner Sicht der Gebrauch der Hände wichtig beim Kochen?

Kochbuch von Malte Härtig & Jule Frommelt: Das Glück der einfachen Küche

Malte: Komplexe Gerichte finden oft im Kopf statt und werden dort konstruiert. Es ist dann eher ein intellektuelles Kochen und Essen, das daraus entsteht. Mir geht es mehr um das Herz und darum, die Seele zu nähren. Das Kochen sollte dafür so unmittelbar und unverstellt wie möglich sein, um, wie die Japaner sagen, das Wesentliche zu sehen, das oft unscheinbar daherkommt.

Katharina: Gibst Du uns ein Beispiel für ein „Son mat“-Rezept?

Malte: Gerne. Das Rezept für Krautsalat mit Apfel und Dillblüten in meinem Kochbuch ist so eines. Kraut und Apfel werden sehr fein gehobelt, dann mariniert und dabei nur ganz leicht, aber mit beiden vollen Händen gewendet. Die gesamten Handflächen werden aktiviert, es ist wie ein feines Kitzeln. Je sanfter man das macht, desto feiner wird nachher der Geschmack. Oder die Serviettenknödel Da geht es ja darum, die Brotwürfel mit so wenig mit nötig und so viel wie möglich Feuchtigkeit zu versorgen und durch das Ei zu binden.

Wenn die warme Milch und das Ei untergehoben werden, ist das ein besonders schöner und für den Geschmack auch wichtiger Moment. Oder der Ofenkürbis: Er lebt von der Muße, die man für das Schneiden der kleinen Würfel hat, von deren Exaktheit. Und der Aufmerksamkeit für den richtigen Bräunungsgrad im Ofen. Dann braucht es nicht mehr als etwas Salz und eventuell Zucker zum Abschmecken und man bekommt ein besonderes Geschmackserlebnis: die pure Einfachheit.

Katharina: Das Handgefertigte erlebt zurzeit eine Renaissance als Antwort auf industrielle Massenware. Handgetöpferte Keramik und selbst gemachtes Sauerteigbrot spiegeln das besonders. Was sagt das über die Gegenwart aus?

Malte: Die Frage nach dem Wesentlichen stellt sich scheinbar besonders in Zeiten des Wandels, in denen wir nach Orientierung suchen. Komplexitätsreduktion ist da ein gutes Mittel. Wenn auch nicht so einfach. Marie Kondo macht es vor: Was brauche ich wirklich für mein Leben? Im Schneiden der Karotte wird die Welt wieder handhabbar, ganz im Wortsinn, hat mal jemand gesagt. Indem wir erleben, welche Gestaltungsmöglichkeiten und welche Souveränität wir über unsere eigenen Ernährungsweisen haben, stellt sich ein Gefühl für unsere Freiheit und Selbstbestimmtheit ein. Ich entscheide, welches Fett, wie viel Zucker und überhaupt welches Getreide oder Gemüse in meine Gerichte wandern. Welche Menge ich esse. Damit trage ich auch die Verantwortung für mein Leben. Da geht es nicht um Modellmaße, sondern um die persönliche Zufriedenheit.

Katharina: „Das Glück der einfachen Küche“ ist dein zweites Kochbuch. Deine Herangehensweise erläuterst Du im Vorwort: konnzeptionell, aber auch recht spontan. Das ist recht einzeitigartig.

Kochbuch von Malte Härtig & Jule Frommelt: Das Glück der einfachen Küche

Malte: Die Kochbücher entstehen mehr und mehr aus dem Moment heraus. Aus dem, was gerade der Fall ist: Welche Gemüse lachen mich an? Wie sind Stimmung und Wetter? Was tut uns im Hochsommer gut, was wärmt im Winter? Das Rundlingsmuseum in Lübeln war unser Produktionsort. Wir waren dort umgeben von altem Handwerk, das immer auch sehr arbeitsintensiv und mühsam war. So ist auch gleich klar, dass es nicht um Romantisierung geht. Das geschieht alles viel aus dem Bauch oder was Jule und ich gerne ausprobieren und zeigen wollen. Gleichzeitig setzen wir, was die Techniken anbelangt, einen strengeren Rahmen. Also möglichst einfache Werkzeuge und Techniken, eben kneten, zupfen, rollen, mischen.

Und was das Kochen anbelangt: Ich glaube, es liegt eine besondere Kraft in den Dingen, wenn man sich von ihnen führen und „es laufen“ lässt. Die Dinge „sorgen schon für sich selbst“, sagt ein Zen-Mönch in in dem Film „Das Lächeln der Radieschen“. „Das Schwierige ist die Kommunikation unter den Menschen.“ Also übe ich es wie ein japanischer Teemeister oder Keramiker, bereite die Situation gut vor und lasse dann los. Man erreicht dann erstaunlich oft sein Ziel, ohne Zwang und Kontrolle. Mit oft erstaunlich unerwarteten und schönen Erlebnissen. Und es geht natürlich auch mal etwas daneben.

Katharina: Du bist ausgebildeter Koch und hast im Anschluss Philosophie studiert und an der Universität Witten/Herdecke promoviert. Was denkst du heute über die Sterneküche? Was zieht Dich an ihr kulinarisch an und was ist heute für Dich wichtiger geworden?

Malte: Früher dachte ich, sie sei gleichzusetzen mit „gut kochen“. Das kann, muss aber nicht sein. Irgendwann habe ich mich gefragt, ob es Alternativen zur Haute Cuisine auf einem ähnlichen Niveau gibt – und bin in Japan beim Kaiseki gelandet. In Japan hat mich dann die Zen-Klosterküche besonders fasziniert. Über sie habe ich etwas Wichtiges über das Kochen gelernt: Qualität findet man von der Pommesbude bis zur Sterneküche immer dann, wenn der Koch mit ganzem Herzen dabei ist und mehr in uns berührt als nur den sensationellen Geschmack im Mund, die Erinnerung an die Kindheit oder den Intellekt. Also Kopf, Herz und vor allem die Seele. Und wenn er die Bedeutung seiner Aufgabe kennt. Das ist: seine Gäste zu nähren, ihnen etwas Gutes zu tun. Das alles steht letztendlich hinter Sternen, Hauben, Gabeln und Pommes.

Katharina: Die Covid-19-Pandemnie hat dazu geführt, dass mehr denn je gekocht wurde. Wie hast Du dein Umfeld erlebt bei der Herausforderung des täglichen Kochens und was möchtest Du jedem mitgeben?

Zum Weiterlesen

Leseprobe Das Glück der einfachen Küche

Leseprobe Von Zen und Sellerie

Websites von Malte Härtig & Jule Frommelt

Malte: Ich frage mich, was wir alle mit dem ganzen Mehl und der Hefe gemacht haben. Vom täglichen Kochen in meinem Umfeld habe ich wenig mitbekommen. Außer, dass viele plötzlich Zeit zum Kochen hatten. Wenn denn keine Kinder zu Hause rumsprangen. Ich habe damals angefangen, aus dem Glück der einfachen Küche zu kochen. Meine Lieblingsrezepte muss ich seitdem nicht mehr aus dem Zettelkasten suchen, sondern kann sie einfach im Buch aufschlagen. Das war praktisch und gleichzeitig ein schönes Gefühl. Ich habe ganz im Sinne des Buches möglichst viel mit den Händen gemacht. Das erdet, wenn die Gedanken kreisen oder die Sorgen aufziehen. Und es beglückt eben auch, wenn man der Hände Werk nachher auf den Tisch stellen und mit der Familie essen kann. Darin liegt etwas Wesentliches. Im gemeinsamen Kochen und Essen. Das wurde damals besonders deutlich und ich denke, dass viele in dieser Zeit des Lockdowns eine ähnliche Erfahrung gemacht haben. Es gibt so viele unterschiedliche Grade der Betroffenheit. Daher ist es schwer, etwas allgemein mitzugeben, außer eben das Erzählen von diesen Erlebnissen.

Katharina: Herzlichen Dank!

Veröffentlicht im August 2020

2 Kommentare

  1. Thea

    Sehr schönes Interview. Diesen „jungen“ Mann mag ich einfach – seit seinen Anfängen.

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