Es gibt diese Bücher, in die man eintauchen möchte. Michael Langoth ist so eines gelungen. Es erzählt vom kulinarischen Leben am Mekong.
Katharina: Das Konzept Ihres Buches ist einzigartig. Es erscheint mir wie ein Biotop in Buchform, denn der Mekong wird in all seinen Facetten gezeigt. Was fasziniert Sie so an diesem Fluss?
Michael Langoth: Der Mekong ist der letzte große Strom der Erde, der bis vor kurzem weitgehend unberührt war, Staumauern, Industrie, Betondämme und sogar Brücken waren bis in die späten 1990er-Jahre praktisch nicht vorhanden. Auch heute noch sind die Ufer fast überall unverbaut, wie seit Jahrtausenden wälzt sich der Strom in seinem natürlichen, wilden Flussbett. Hier kann man beobachten, wie eine alte Flusskultur ohne nennenswerte industrielle Einflüsse funktioniert. Freilich hat auch hier der Umbruch schon begonnen, die ersten Kraftwerke in China sind bereits in Betrieb und bei Xaiaburi in Laos ist seit einem Jahr die erste Staustufe am Unterlauf in Bau. Aber am Mekong haben sich die kulturellen Traditionen länger erhalten als irgendwo sonst.
Katharina: Warum ist Ihnen der kulinarische Aspekt des Mekongs so wichtig?
Michael Langoth: Am Mekong existiert noch die alte, vorindustrielle Kochkultur. Kleinbauern und Kleinhändler sichern eine Versorgung mit überaus frischen Zutaten, die ohne lange Handelswege direkt aus der unmittelbaren Umgebung kommen. Alles ist so frisch, dass man weitgehend ohne technische Kühlung auskommt. Gerade in den armen Ländern Burma, Laos und Kambodscha gehört der Kühlschrank noch nicht zur Ausstattung eines durchschnittlichen Haushalts. Selbst Frischfleisch wird in der tropischen Luft ungekühlt zum Kauf angeboten. Auch wenn jemand einen Kühlschrank besitzt, wird der hauptsächlich zur Kühlung von Bier benutzt.
Der vom östlichen Himalaya angespülte, fruchtbare Schlamm und das tropisch-feuchte Wetter ermöglichen reiche Ernten und eine hervorragende Qualität der Lebensmittel. So gedeihen bei Niedrigwasser im Sand der Uferböschungen überall Gemüse und Kräuter in einer Qualität, von der man in den reichen Ländern des Westens nur träumen kann.
Obwohl manche Länder am Mekong zu den ärmsten der Welt gehören, isst man dort wesentlich besser als in vielen reichen Industrienationen – das sollte uns zu denken geben!
Katharina: Wie sah die Arbeit für das Buch aus?
Michael Langoth: Es gab zwei Reisen zu je 5 Wochen gemeinsam mit meinen beiden Töchtern Laura und Sarah, die gerade eine Ausbildung in Fotografie, Foodstyling und Ernährungswissenschaften machen. Eigentlich war das Projekt ursprünglich nur als Teil des Ausbildungsprogramms gedacht. Das Ergebnis haben wir letztes Jahr dann doch an einige Verlage geschickt. Die Reaktion war äußerst positiv und so wurde das Buch realisiert.
Katharina: Aus wie vielen Fotos und Rezepten haben Sie das Buch zusammengestellt?
Michael Langoth: Da wir alle drei fotografiert haben, wurden weit über 10.000 Belichtungen gemacht und daraus etwa 1000 Bilder ausgewählt. Wir verfügen also über ein reichhaltiges Mekong-Archiv.
Wir haben nur relativ wenige Rezepte im Buch (um die 30) – Bücher mit umfangreichen Rezeptsammlungen gibt es ja mehr als genug! Wir haben uns viel mehr auf die Grundsätze und prinzipiellen Techniken der Mekong-Küche konzentriert um zu zeigen, was das eigentliche Wesen dieser Kochkultur ausmacht und warum dort so gut gekocht wird.
Katharina: Der Fluss verbindet sechs asiatische Länder miteinander. Gibt es eine kulinarische Gemeinsamkeit – etwas, was alle teilen und welche Küchen bilden die Pole dieser Region?
Michael Langoth: In der Mekong-Region gibt es zwei wirklich „große Küchen“, die thailändische und die vietnamesische. Laos und Kambodscha sind von beiden Küchen stark beeinflusst, weisen aber doch einige eigenständige Speisen wie Laap oder Amok auf. Bei der burmesischen Küche schmeckt man die Nähe Indiens, während die chinesische Küche der Provinz Yunnan wieder sehr eigenständig ist. Gemeinsam ist all diesen Kochtraditionen die Liebe zu Nudelsuppe.
Katharina: Wenn Sie die asiatische Kochtradition gerade mit der europäischen vergleichen – was zeichnet sie heute aus?
Michael Langoth: Vor allem die Frische und Qualität der Lebensmittel. Es gibt keine langen Handelswege und Kühlketten. Auch der Umgang mit Gewürzen ist ein anderer. In Südostasien versucht man in jeder Speise das ganze Geschmacksspektrum von süß, sauer, salzig, bitter und umami möglichst auszureizen, zusätzlich liebt man die Schärfe von Chili. Die salzig-würzige Fischsauce und etwas Zucker ist für fast alle Speisen unverzichtbar. Auch die Säure von frischen Limetten und starke Aromen von Ingwer, Galgant und frischen Kräutern sind omnipräsent. Auffällig ist die Ähnlichkeit zur Kochtechnik der europäischen Antike in Griechenland und im Römischen Imperium, wo eine Fischsauce namens Garum und süßer, konzentrierter Traubenmost (Defrutum) die Basis jeglichen Kochens war. Die meisten europäischen Küchen der Gegenwart versuchen eher die Eigenaromen der Zutaten zur Geltung zu bringen, das Süßen von Speisen, die nicht als Dessert gelten, ist für viele ein absolutes no-go. Fischsauce und Zucker übertönen allerdings nie die Eigenaromen, sondern verstärken sie. Bemerkenswert ist auch, wie leicht und bekömmlich das Essen am Mekong ist: Knackiges junges Gemüse, viel Fisch, hocharomatische Kräuter, Fleisch in eher geringen Mengen, frische Früchte und Reis. Dabei gibt es kaum eine Küche, bei der so wenig Fett verwendet wird: Salate werden zum Beispiel ohne Öl mariniert. Fettleibigkeit ist in der Region so gut wie unbekannt. Auch die Portionsgrößen sind kultiviert klein, dafür isst man oft.
Katharina: Erstaunt hat mich die Tatsache, dass Sie schreiben, dass der Fluss immer noch reich an Fischen ist. Das steht ja völlig im Kontrast zu den Nachrichten, die uns sonst in Punkto Überfischung erreichen. Wie kommt das? Und wie ist das im chinesischen Abschnitt, wo doch die Umweltbelastung besonders stark sein soll?
Michael Langoth: Im Wassersystem des Mekong sind fast doppelt so viele Fischarten wie im gesamten Mittelmeer bekannt und nach wie vor werden neue entdeckt. Allerdings ist der Fischreichtum in den letzten Jahren tatsächlich zurückgegangen seit die ersten Kraftwerke am chinesischen Oberlauf in Betrieb sind. Für die nächsten Jahre ist allein in Laos der Bau von 10 weiteren Flusskraftwerken geplant. Was das für die Fische und ihre lebensnotwendigen Wanderungen bedeutet, mag man sich gar nicht vorstellen. Die industrielle Belastung des Stroms ist aber – verglichen mit anderen – noch immer relativ gering und eine Überfischung ist hier nicht so leicht möglich, weil eine großindustrielle Fischerei, wie sie auf den Meeren betrieben wird, am wilden Fluss nicht so einfach funktioniert. Ökologische Probleme gibt es eher bei einzelnen Fischzuchten im Delta – wie überall, wo mit zu dichtem Besatz gezüchtet wird.
Der chinesische Teil des Mekong ist der einzige, den wir nicht bereist haben, ich kann also keine Aussage darüber aus eigener Erfahrung machen.
Katharina: Sie stellen in dem Buch den Kampotpfeffer vor, von dem ich noch nie gehört habe. Erzählen Sie uns bitte, wie Sie ihn entdeckt haben und was ihn aromatisch auszeichnet?
Michael Langoth: Kampot ist die südlichste Provinz in Kambodscha, wo vor allem während der französischen Kolonialzeit der Anbau von hochwertigem Pfeffer forciert wurde. Seine aromatische Qualität gewinnt er aus dem schweren mineralischen Lehmboden und dem feucht-warmen Küstenklima am südchinesischen Meer. Ein gutes steak au poivre war im Paris der 1920er-Jahre ohne die frischen Pfefferfrüchte aus Kampot undenkbar. Seit den Zerstörungen durch die khmer rouge in den 1970er-Jahren (Reisanbau statt dekadentem Pfeffer!) erholt sich die Produktion langsam wieder.
Katharina: Herzlich lachen musste ich über Ihre Worte, dass man vor Ort alle Vorsicht bzgl. Essen über Bord werfen sollten und sich keine Gedanken über hygienische Zustände machen sollte. In unserem Vorgespräch sagten Sie, dass das fehlende Konzept Kühlschrank dafür sorgt, dass alles sehr frisch ist. Könnten Sie das einmal erläutern? Ich würde mich gerne das nächste Mal mehr trauen!
Michael Langoth: Insgesamt – wenn man alle Reisen zusammenrechnet – habe ich fast 2 Jahre in Südostasien verbracht, und nie habe ich mir den Magen verdorben, obwohl ich die einfachsten Straßenküchen bevorzuge (ganz im Gegensatz zu anderen Regionen inklusive Europa) – da mag der Zufall eine große Rolle spielen, aber ich bin überzeugt, dass einige Kochtraditionen der Region der Verkeimung von Nahrung effektiv entgegen wirken: Alles ist extrem frisch, gerade weil es oft keinen Kühlschrank gibt, kommen längere Lagerung und Transportwege wie bei uns nicht in Frage. Alles wird a la minute frisch gekocht, es gibt kein Aufwärmen von fertigen Speisen. Jegliche Nahrung wird von Kleinstunternehmern frisch hergestellt, es gibt keine industriellen Großküchen.
Vorsichtig bin ich in diesen Ländern nur in großen und teuren Hotels, wo nicht nach einheimischen Traditionen gekocht wird und die Speisen oft stundenlang für Buffets bei idealen Keimtemperaturen warmgehalten werden. Das ist gefährlich!
Katharina: Als wir über das legendäre Restaurant Nha Hang Ngon in Saigon sprachen, sagten Sie, dass die Menschen in der Region wenig übrig haben für kulinarische Spielerein. Das ist ein Phänomenen, was mich sehr interessiert, weil es auch im europäischen Raum zu finden ist. Was sind die Faktoren in dieser Region, dass einerseits Kochen so einen hohen Stellenwert hat, aber andererseits eher im festen Rahmen praktiziert wird?
Michael Langoth: Bei meinen Reisen und Recherchen ist mir aufgefallen, dass in den wenigen Regionen mit wirklich großer traditioneller Küche – also zum Beispiel Italien, der Nahe Osten, China und Südostasien – das Interesse an „kreativer Küche“ relativ gering ist. Diese Regionen zeichnen sich dadurch aus, dass die Kochkultur in der Bevölkerung weitgehend „verankert“ ist. Man kennt sich aus, die „richtige“ Zubereitung von Speisen ist ein allgemeines Gesprächsthema, oft leidenschaftlich ausgefochten. Je stärker die Kochtradition kulturell verankert ist, desto grösser ist die Aversion gegen kulinarische Experimente (Beispiel: Ein Koch wie Jamie Oliver hat es in der Toskana nicht leicht)
Umgekehrt verhält es sich in Regionen, die nicht so sehr für ihre kulinarische Hochkultur berühmt sind, wie etwa der angelsächsische Raum von England über die USA bis Australien, oder Norddeutschland und Skandinavien. Hier ist der Nährboden für kreative Chefs, die – bildlich gesprochen – das kulinarische Rad ständig neu erfinden wollen. Ich kann mit beidem gut leben, natürlich ist das Kochen auch ständigen Veränderungen unterworfen. Mein kulinarisches Interesse gilt aber mehr den authentischen Traditionen, den Speisen, die langsam über Generationen hinweg perfektioniert wurden, Teil einer kulturellen Identität geworden sind. Für mich gibt es einen sehr brauchbaren Test, der es mir ermöglicht die wahre Qualität eines Rezepts herauszufinden: Man muß eine Speise oft essen, im Alltag, ohne schickes Restaurantambiente, zum Beispiel jeden Donnerstag. Das funktioniert für mich etwa mit Pasta alla Norma, Steirischem Wurzelfleisch oder mit Linsen und Speck. Alles Speisen mit langen Traditionen. Die meisten der schicken Kreationen der Haubenküche können da nicht mithalten. Speisen, die beim ersten Essen im entspechenden Ambiente überraschend, verführerisch und aufregend wirken, entpuppen sich im Alltagsgebrauch oft rasch als überkandidelt und nervig. Es braucht halt mehr als die spontane Idee eines Einzelnen, um eine wirklich gute Speise zu entwickeln, obwohl ich zugebe, dass es auch Ausnahmen gibt.
Katharina: Eine letzte Frage. Sie sind auch Musiker. Haben Sie für uns einen Musik-Tipp vom Mekong mitgebracht?
Michael Langoth: Leider nein. Sie sprechen hier den eigentlichen wunden Punkt der südostasiatischen Kulturen an: Das Essen ist großartig, die Umgangsformen und Freundlichkeit der Menschen sind wunderbar, die Landschaft ein Traum – aber die Musik ist schrecklich! Man liebt Karaoke-Bars und ewig gleiche „boy meets girl – Videoclips“ im Fernsehen. Das war das einzige, worunter ich bei meinen Reisen in der Mekong-Region gelitten habe. Man kann nicht in Allem gut sein.
Katharina: Herzlichsten Dank!
Veröffentlicht im Juni 2013