Einer der wichtigsten Foodtrends ist aktuell das Thema Nachhaltigkeit in der Küche. Das lässt sich auch am Erfolg des Kochbuchs Zero Waste Küche von Sophia Hoffmann erkennen. Das im Februar 2019 erschienene wurde bereits mehrfach nachgedruckt. Die Köchin, Autorin und Aktivistin hat den Nerv der Zeit getroffen.
Katharina: Dein Kochbuch „Zero Waste Küche“ ist ein vielseitiges und umfassendes Werk. Was ist Dein Anliegen damit?
Sophia: In Deutschland werden jedes Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Die Verringerung verschwendeter Nahrungsmittel zusammen mit der Müll-Reduktion ist eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit, denen wir uns gesamtgesellschaftlich stellen müssen. Klar ist hier auch die Politik gefragt, aber 40 % wird in Privathaushalten weggeworfen. Da kann jeder von uns was dran ändern. Ich will einfach und greifbar vermitteln, wie man das in den eigenen vier Wänden umsetzen kann, mit Lager- und Einkauftipps, Verwertungsideen und konkreten Rezepten. Und einem spannenden Informationsteil über Lebensmittel, denn Wissen ist das geheime Gewürz einer guten Köchin. Ich habe über ein halbes Jahr konkret an dem Buch gearbeitet, mit dem Thema Lebensmittelverschwendung beschäftige ich mich aber schon sein etwa vier Jahren.
Katharina: Der Begriff „Zero Waste Küche“ wird häufig unter dem Aspekt der Abfallvermeidung verwendet. Tatsächlich steht er für weit mehr. Welche Ansätze und Bewegung sind darüber hinaus darunter zu verstehen?
Sophia: Zero Waste (= null Müll) ist eine Nachhaltigkeitsphilosophie, die in den letzten Jahren weltweite Bekanntheit und eine wachsende Anhängerschaft gewonnen hat.
Sie hat viele Komponenten wie Abfallvermeidung, Konsumverweigerung/ -kritik, Recycling, Verwertung, Reparatur, Wiederverwertung, Kreislaufwirtschaft, Minimalismus – um nur die bekanntesten zu nennen.
In Bezug auf Lebensmittel geht es für mich darum, möglichst alles zu verwerten, aber auch bewusst und vor allem besser und weniger zu konsumieren. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, konsumieren viel und verschwenden viel. Mein Ziel ist es, Wertschätzung zu vermitteln. Wer bewusst auswählt, schmeißt auch weniger leicht Essen weg.
Brot ist hier das perfekte Beispiel. Von einem der historisch bedeutendsten (Über-)Lebensmittel der Menschheit wurde es zu einem Wegwerfprodukt minderer Qualität. Jede fünfte Backware landet hierzulande im Müll. Das sind 1,7 Millionen Tonnen. Das entspricht der Ernte eines Ackers größer als die Fläche von Mallorca. Diese Verschwendung zieht enorme ökologische Folgekosten nach sich.
Katharina: Der erste Teil Deines Kochbuchs widmet sich Fakten und Wissenswertem über Lebensmittel, eine Warenkunde unter dem Aspekt der „Zero Waste Küche“. Hier fließen unterschiedliche Informationen spannend zusammen. Wie hast Du die Auswahl getroffen und über welches der Lebensmittel hast Du bei der Recherche selbst Neues erfahren?
Sophia: Die 40 Lebensmittel(-gruppen) sind subjektiv nach mehreren Gesichtspunkten ausgewählt: durch Leser*innen-Befragung, Studienergebnisse und Gesundheitsempfehlungen, ihre Beliebtheit in unseren Küchen und kulinarisches Bauchgefühl. Es handelt sich um Lebensmittel, die in deutschen Küchen oft im Müll landen, stark an Wert verloren haben, gerne im Vorratsschrank herum gammeln und/oder speziell wichtig für eine ausgewogene Ernährung sind.
Dazu gibt es Infos zu Lagerung, Saison, Zero Waste und Fairtrade-Problematik und Verwertung, damit es nicht zu trocken wird, ergänzt mit Fun Facts, Kulturgeschichte und bunten Bildern. Auch tierische Produkte dürfen dort nicht fehlen, sie werden kritisch beleuchtet.
Ich habe selbst so viel bei der Recherche gelernt, es war super spannend. Etwa, dass gekochte Kartoffeln einen höheren Vitamin-C-Gehalt als die gleiche Menge Eisbergsalat und aufgrund dessen auch die „Zitrone des Nordens“ genannt werden. Oder dass man die Blätter von Gemüsen wie Kohlrabi, Radieschen, Möhren und Bete nicht nur mit verwenden sollte, weil sie lecker sind, sondern auch noch mal ganz andere Nährstoffe bereithalten als das Gemüse selbst. Allerdings nur in Bioqualität, da sie sonst mit Pestiziden belastet sein können.
Dass Fisch dem Image als gesundes Lebensmittel schon lange nicht mehr gerecht wird, da er heutzutage stark schadstoffbelastet ist und selbst Expert*innen dazu raten die Jodversorgung lieber direkt über Algenpräparate zu sichern als über den „Umweg“ des Meerestieres. Die Recherche zu Fischfang und zu Produkten wie Bananen und Schokolade hat mich am meisten schockiert. Weder war mir das Ausmaß der Zerstörung und Ausrottung durch Meeresfischerei bewusst, noch dass gerade bei konventionellen Bananen und Kakaobohnen Kinderarbeit und moderne Sklaverei riesige Probleme sind. Übrigens auch in der Fischerei. Mein Fazit: Bananen, Kaffee und Schokolade nur noch bio und Fairtrade kaufen.
Katharina: Kochbücher mit Rezepten zur Resteverwertung stehen immer vor der Herausforderung der Praktikabilität. Denn Reste fallen eher spontan an, Rezepte nachkochen ist aber eher ein geplanter Vorgang. Was war Dir daher bei der Konzeption des Rezeptteils wichtig?
Sophia: Mir geht es um Kochverständnis, nicht um das blinde Nachkochen einzelner Rezepte. Deshalb die Gliederung in Informationsteil, Nachschlagewerk und Rezepte. Es handelt sich um Grundrezepte, die sich alle irgendwie kombinieren und variieren lassen. Ich versuche, Denkschranken zu öffnen, indem ich Lebensmittel verwandle: aus Semmelbröseln einen Quicheboden oder Kräcker backen, Linsen und Karotten gemeinsam kochen – als Salat, Suppe oder Aufstrich weiterverarbeiten. Salat einfach mal anbraten – lecker. Ein Rührteig aus fünf Schrankzutaten, die man immer zu Hause hat. Eine Torte aus übrig gebliebenen Weihnachtsplätzchen und Schoko-Nikoläusen. Es geht viel um Konsistenzen, Transformationen usw.
Katharina: Als Köchin und Aktivistin bist Du auf Events präsent, informierst und bekommst Feedback zu dem Thema. Was ist Deine Beobachtung, warum klappt es häufig mit der Resteverwertung noch nicht? Oder im Positiven gefragt: Woran sollten wir Homecooks arbeiten?
Sophia: Häufig herrscht Angst und Unsicherheit im Umgang mit Lebensmitteln, resultierend aus fehlendem Wissen, Mangel an praktischer Erfahrung und Panikmache der Industrie. Die erzählt uns unheimlich viel Quatsch um uns immer mehr zu verkaufen!
Vertraut auf euer Bauchgefühl und eure sieben Sinne!
Auch was die Haltbarkeit von Lebensmitteln angeht. 40 % der Menschen in Deutschland entsorgen Lebensmittel weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, obwohl dieses kein Verzehrdatum darstellt (im Vergleich zu Fleisch) und von der Industrie willkürlich festgelegt wird. Schnuppert dran, probiert vielleicht sogar – wenn etwas nicht gerade schimmelt, ist es oft noch hervorragend essbar. Und lest mein Buch!
Katharina: Bei der privaten Lebensmittelverschwendung stehen Kühl- und Vorratsschrank im Mittelpunkt des Geschehens. Was tust Du, damit möglichst wenig verdirbt?
Sophia: Weniger einkaufen. Klingt banal, ist aber oft das Problem. Wenn ich zu Menschen nach Hause gehe – habe ich erst letztens wieder für eine Fernsehsendung gemacht –, sind diese oft überrascht davon, was man alles noch aus den vorhandenen Zutaten zaubern kann. Das macht kreativ!
Wir neigen prinzipiell zum Horten und Anhäufen, dabei laufen wir hierzulande selten Gefahr zu verhungern. Ich mache öfters Inventur im Kühl- und Vorratsschrank und versuche so lange wie möglich, alles aufzubrauchen, was noch vorhanden ist, bevor ich wieder einkaufen gehe.
Katharina: Eine Frage an die Aktivistin: Wenn Du einen Tag Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft wärst, welche drei Maßnahmen würdest Du sofort umsetzen?
Sophia: Super Frage! Ich würde endlich die völlig überfällige Gesetzesänderung vornehmen und dafür sorgen, dass der Einzelhandel (Supermärkte usw.) bei Lebensmittelverschwendung in die Verantwortung genommen wird, so, wie es in Frankreich und Tschechien längst umgesetzt wird. Sprich entweder Sanktionen für übrig gebliebene Lebensmittel und veranlassen, diese Bedürftigen zur Verfügung zu stellen, sowie Dumpstern entkriminalisieren und Anreize schaffen, im Verkauf nachhaltiger zu agieren, sodass gleich weniger Überschuss anfällt.
Zudem würde ich ENDLICH dafür sorgen, dass Bio-Landwirtschaft wesentlich stärker subventioniert wird und Bauern für nachhaltiges, umweltschonendes Wirtschaften belohnt und nicht bestraft werden. Qualität statt Quantität. Viele Landwirt*innen wollen etwas verändern und sind gefangen in ihrem unethischen Subventions-Wahnsinn. Konventionelle Bauern bekommen in Deutschland im Schnitt 0,27 € für einen Liter Milch und bräuchten 0,40 € um auf Null zu kommen.
Wir brauchen in vielen Bereichen eine Mischung aus Restriktionen und positiven Anreizen, die die, die am meisten verdienen (Einzelhandel, Großbetriebe), zu nachhaltigerem Handeln zwingen, und denen, die unter dem Status Quo leiden (Landwirt*innen, Erzeuger*innen) helfen.
Katharina: Herzlichen Dank!
Veröffentlicht im November 2019