Man kann durchs Leben gehen und immer nur das essen, was man mag und was vertraut ist. Heraus kommt ein kulinarisches Leben in der Komfortzone. Aber ist es nicht spannender, sich als Neugieriger in der Welt des Genusses zu bewegen? Zu wagen, wenn die Geschmacksknospen ratlos dämmern? Dabei geht es um nicht weniger als die Frage, worauf es im Leben ankommt.
Annette Sandner, Foodfotografin, Beraterin und Bloggerin von culinary pixel, greift sie in ihrem Kochbuch „100 Gerichte, die du gekocht haben musst, bevor du den Löffel abgibst“ spielerisch auf. Ein Gespräch über kluge Elternratschläge, Henkersmahlzeiten und gegrillten Darm.
Katharina: Dein Kochbuch „100 Gerichte, die du gekocht haben musst, bevor du den Löffel abgibst“ spielt mit dem allgemeinen Wunsch, im Leben nichts zu verpassen. Worauf kommt es dabei für Dich an – kulinarisch betrachtet?
Annette: Ich glaube, es geht weniger darum, auf Zwang nichts zu „verpassen“, als einfach die Zeit, die einem gegeben ist, bestmöglich zu nutzen. Ich glaube, jeder hat Wünsche, Sehnsüchte und „Hätte-ich-doch-Mals“ – einfach machen tut meistens nicht weh und gibt einem so viel!
Kulinarisch betrachtet gibt es auf dieser Welt so viel zu entdecken, dass ein einziges Leben sowieso nicht reicht. Daraus ergeben sich direkt zwei Antworten: Internationalität spielt für mich eine große Rolle, über den Tellerrand schauen. Alles ist irgendwo auf der Welt „Hausmannskost“ – wenn auch für uns vielleicht fremd oder ungewohnt. Alleine die Möglichkeit, bei Reisen, aber auch von zu Hause aus einen Blick in die Gewohnheiten, Begebenheiten und Geschmäcker anderer Kulturen zu gewinnen, ist Gold wert – und gelingt über kein anderes „Medium“ so gut wie über das (gemeinsame) Essen.
Und zum zweiten: Gelegenheiten im Leben nutzen, auch und gerade auf Reisen: Vielleicht wird man diese eine fantastische Suppe auf dem Markt in Vietnam sein Leben lang nie wieder so zu probieren bekommen. Gleiches gilt übrigens für die beste Pasta im toskanischen Bergdorf oder den fast ausgetrunkenen Jahrgangswein.
Katharina: Wie hast Du das praktisch für das Kochbuch umgesetzt, was erwartet den Leser?
Annette: Das Kochbuch bekommt seine Struktur durch fünf Kapitel. Das erste und größte behandelt echte Klassiker: Schnitzel, Bolognese, Caprese oder Tarte Tatin, alles echte Herzensangelegenheiten. Weiter geht es mit den Rezepten für „Neugierige“, von Pulpo über Banh Mi und Algensalat bis zu Blutwurst, Bries und Bibimbap.
Danach kommt mein heimliches Lieblingskapitel: die Gourmets. Hier fängt es an, sehr fokussiert um die Grundprodukte in den Rezepten zu gehen: Austern, Kaviar, Hummer oder Taschenkrebse sind genauso dabei wie Morcheln oder Taube. Kapitel vier, für Mutige, hält dann schon die eine oder andere ungewöhnliche Zutat bereit: Seeigel, Kaktusblätter, Seeteufelleber oder mein geliebter Zungensalat! Das kleinste Kapitel ist für Unerschrockene: Hühnerfüße, Ameisen-Schokolade oder asiatische Schweineohren sind natürlich eine Herausforderung, aber nicht minder lecker!
Katharina: Auffallend ist, dass Fisch und Meeresfrüchte stark repräsentiert sind. Warum?
Annette: Ich glaube, so ungewöhnlich ist das in der Gesamtheit der Länderküchen gar nicht, nur in unseren Gefilden ist beides leider oft unterrepräsentiert. Schon im mediterranen Bereich sind Pulpo, Percebes, Schwertmuscheln oder Bacalhau ganz normaler Bestandteil des Speiseplans. In Frankreich sind Austern, Krebse und Hummer nichts Ungewöhnliches oder mindestens fester Bestandteil der klassischen Küche. Außerdem esse ich auch persönlich sehr gerne Fisch und Meeresfrüchte und finde, das kommt einfach viel zu kurz!
Katharina: Deine Kapitel „Für Mutige“ und „Für Unerschrockene“ offerieren Speisen mit besonderen Zutaten wie Ameisen, Schweinehirn und Seeigel. Daraus lässt sich schließen, dass Du Dich auf wirklich viele abseitige Genüsse eingelassen hast. Welche haben Dir beim erstmaligen Probieren Überwindung abverlangt? Gab es dabei Momente von Oha-wie-toll oder Oha-wie-gewöhnungsbedürftig abseits Deiner Arbeit für das Buch?
Annette: Tatsächlich haben mich schon mehrfach Leute gefragt, ob ich alles im Buch wirklich probiert habe. Die Antwort ist natürlich: Ja, klar – sonst wären die Rezepte nicht im Buch gelandet (und auch nicht auf den Fotos). Natürlich habe auch ich aber meine Grenzen oder mindestens eine gewisse Hemmschwelle vor manchen Dingen. Getrockneter Fisch und Oktopus (wie man ihn dünn aufgeschnitten auf vielen asiatischen Märkten findet) ist zum Beispiel nicht mein Favorit, und bei Spinnen oder angebrüteten Eiern hört es bei mir persönlich auch auf, probieren zu wollen.
Auch nicht unbedingt mein Lieblingsgericht wurde gegrillter Darm beim Asado in Brasilien. Oha-wie-toll-Momente gab es viele: die super frischen Percebes in einem Fischlokal in Portugal, eine Schweinepastete mit Zimtsud und eine Krabbenfleischsuppe in Hanoi – einfach sagenhaft. Wirklich überrascht war ich zum Beispiel auch von den Schweineohren und der Fischleber!
Katharina: Du hast im Vorfeld des Buches viele Gespräche geführt zu der Frage, was muss man gekocht/ausprobiert haben. Welche Einsichten ergaben sie?
Annette: Ganz interessant fand ich, dass auf die Frage ihrer Lieblingsgerichte und Henkersmahlzeiten tatsächlich die allermeisten Leute mit absoluten Klassikern antworten. Nicht mit ausgefallenen Experimenten, sondern mit Soulfood, Erinnerungen und heimatverbundenen, liebgewonnenen einfachen Dingen. Schnitzel zum Beispiel, das würde wahrscheinlich den Preis für das meistgenannte Gericht bekommen. Gewundert hat mich persönlich ein bisschen die Currywurst, die ebenfalls ein Sehnsuchtsessen zu sein scheint.
Katharina: Welches Gericht würdest Du selbst am liebsten als Henkersmahlzeit genießen?
Annette: Für mich persönlich sind es neben Pasta Bolognese auch noch japanische Ramen. Beides ist für mich absolutes Wohlfühl-Essen, das gegen und für alles hilft: schlechte Stimmung, schlechtes Wetter oder zur Feier des Tages. Und es wären die Kirschrohrnudeln meiner Oma, deren Rezept ich leider nicht mehr rechtzeitig von ihr bekommen konnte.
Katharina: Du bist aufgewachsen in der Gastronomie. Deine Eltern führten ein Hotel. Wie hat das Deinen Blick auf das Thema Genuss geprägt? Haben Dir Deine Eltern einen Leitsatz mitgegeben?
Annette: Ja, definitiv. Mein Vater ist gelernter Koch, ich bin bei meinen Eltern in der Hotelküche und auch mit unseren Gästen aufgewachsen. Gäste zu bewirten, noch dazu in ihren wichtigsten, möglichst besten Tagen im Jahr (nämlich im Urlaub) – das birgt eine gewisse Verantwortung und braucht viel eigene Leidenschaft für den Beruf und die Kulinarik. Ich würde nicht mal sagen „ich habe dabei etwas gelernt“, sondern „ich bin ganz selbstverständlich damit aufgewachsen“: Lebensmittel wertschätzen und gut verarbeiten, dem Gast ein schönes Erlebnis bereiten – und auch Abläufe kennen und die Perspektive von Gastronomen verstehen.
Die wichtigste Essenz im Zusammenhang mit meinem Buch ist sicher die: Mein Vater hat mir beigebracht, alles zu probieren. Er hat immer gesagt: „Du musst nicht alles mögen, aber alles probieren – sonst kannst du’s nicht wissen.“
Katharina: 2012 hast Du Deinen Blog gegründet, culinary pixel. Er steht für Food und Reisen. Inzwischen hast Du daraus Deine Selbständigkeit entwickelt. Wie hat sich das über die Jahre entwickelt?
Annette: Am Anfang war mein Blog einfach eine Plattform für mich. Ich wollte einen Ort für meine Bilder und meine Rezepte, meine Geschichten und kulinarischen Eindrücke. Ich war beruflich ohnehin im Onlinemarketing zu Hause und immer sehr technikaffin – da lag die technische Plattform als Medium nahe.
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Als die ersten Freunde und Bekannten Rezepte nachgekocht haben, immer mehr Follower auf allen Kanälen dazugekommen sind – da war das zunächst ein bisschen unwirklich! Bald kam die ein oder andere Auszeichnung dazu und alles kam ins Rollen, da hatte ich im Leben noch nicht daran gedacht, womit ich heute mein Geld verdiene.
Ende 2014 war ich an einem Punkt, wo ich so viel Zeit und Leidenschaft in den Blog und alles drum herum gesteckt habe, dass klar war, dass ich etwas daraus machen könnte. Nicht nur aus dem Blog, sondern vor allem auch aus Projekten und Perspektiven, die sich daraus eröffnet haben. Damals habe ich gedacht: „Wenn du es jetzt nicht versuchst, aus deiner Leidenschaft deinen Beruf zu machen, kommt die Gelegenheit wahrscheinlich nicht mehr.“ Und schließlich hat wirklich nicht jeder diese besondere Gelegenheit – mit dem, was einem am meisten Freude macht, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Ich habe es einfach gemacht – und bis jetzt nicht bereut.
Katharina: Wo geht die nächste Fernreise hin?
Annette: Eigentlich ein Skandal, aber es ist noch nichts fest. Ganz oben auf der Liste stehen Sri Lanka, Indien und Japan, eventuell auch (noch mal) Kanada. Und auch die Wahrscheinlichkeit, dass mich Südostasien bald wieder sieht, ist durchaus gegeben …
Katharina: Herzlichsten Dank!
Veröffentlicht im Februar 2018