Denis Kolesnikov ist Koch und Autor. Er stammt aus Kiew und lebt heute mit seiner Familie in Süddeutschland. Mit dem Verkauf seiner Rezeptsammlung „Das Ukraine Kochbuch“ unterstützt er Flüchtlinge aus seiner Heimat. Das Kochbuch beinhaltet 40 traditionelle und moderne Rezepte von ihm.
In diesem Interview schildert er, wie sich sein Leben verändert hat, was es mit dem Fladenbrot Polianyzia im Krieg auf sich hat und wo er besonders gerne bald ein kaltes Bier trinken würde.
Katharina Höhnk: Vor über einem Jahr ist Russland in die Ukraine einmarschiert. Ihre Familie stammt aus Kiew, Sie sind mit 17 Jahren nach Deutschland gekommen. Heute arbeiten Sie als Restaurant- und Hotelkoch in Augsburg. Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie vor diesem Hintergrund, wie hat dieses Jahr Ihr Leben verändert?
Denis Kolesnikov: Mein Leben und das meiner Familie wird nie mehr so sein, wie es einmal war. Zuerst war es für uns ein unfassbarer Schock, der schnell in Hilflosigkeit und den Versuch, so vielen Verwandten und Bekannten wie möglich zu helfen, überging. Am 24.02.2022 rief ich alle meine Schulfreunde und Familienmitglieder an und bat sie, die Kinder und Frauen so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen.

Ab März 2022 wohnten die Frauen und Kinder meiner Freunde bei mir. Ich habe vielen Leuten hier in Augsburg bei den Formalitäten und bei der Wohnungssuche geholfen.
Als Nächstes war mir klar, dass ich unbedingt in die Ukraine muss, um den Menschen dort zu helfen. Das habe ich auch getan. Vom Erlös des Kochbuchs haben wir zunächst einen Krankenwagen und Elektro-Generatoren gekauft. Beides habe ich in die Ukraine gebracht. Es war mir wichtig, vor Ort zu sein und zu versuchen, den Menschen zu helfen.
Meine Familie und Verwandten sind größtenteils in der Ukraine geblieben. Viele Freunde sind inzwischen zurückgegangen. Sie haben kein neues Zuhause gesucht, sie haben kein besseres Leben gesucht, sie wollten einfach keine Panzer vor ihrem Haus.
Katharina: Seit Beginn des russischen Angriffskrieges steht die Ukraine im Mittelpunkt eines neuen Interesses – auch kulinarisch. Anfangs haben vielerorts Menschen aus Parteinahme ukrainische Gerichte gekocht und auf Social-Media-Plattformen gepostet, einige Kochbücher sind neben Ihrem über die ukrainische Küche erschienen. Wie haben Sie diese Aufmerksamkeit erlebt?
Denis: Das habe ich sehr positiv erlebt. Jeder macht, was er kann, finde ich. So ist auch mein Kochbuch entstanden, aber ich habe auch im April 2022 vor Ort eine Spendenaktion initiiert. Zusammen mit Kollegen habe ich für die Augsburger gekocht. Inspiriert zu dieser Kochaktion wurde ich durch die ukrainische Diaspora in den USA und andere Aufrufe in den sozialen Medien.

Die Aktion fand auf der Terrasse des Gasthauses von Stefan Settel statt, er ist in Augsburg eine Institution. Jeder hat seine Spezialitäten gekocht. Ich habe Borschtsch gekocht und ukrainischen Schnaps mit Preiselbeeren ausgeschenkt. Es war ein großer Erfolg. Wir haben 6.000 Euro eingenommen, die wir an gespendet haben.
Ich hoffe, dass das Interesse an der ukrainischen Küche anhält. Sie hat viele Gemeinsamkeiten mit der deutschen Küche. Ein Wunsch von mir ist, dass eines Tages das erste ukrainische Restaurant in Deutschland eröffnet wird.
Katharina: Wenn Sie an Ihre Heimat denken, welche Aromen und Geschmäcker kommen Ihnen sofort in den Sinn?
Denis: Knoblauch, Dill, Schmand. Nein, es muss heißen: Schmand, Knoblauch, Dill.
Der Schmand kommt für mich an erster Stelle, weil er für viele ukrainische Gerichte elementar ist wie zum Beispiel Borschtsch oder auch Warenyky, gefüllte Teigtaschen.
Zum Weiterlesen:
Leseprobe beim Verlag
Website & Instagram des Autors
Mehr Ukraine-Kochbücher bei Valentinas
Aber der ukrainische Schmand schmeckt anders als hier. Er ist cremiger, säuerlicher und hat mehr Aroma, vielleicht auch etwas mehr Fett. Auch der Quark ist anders. Seine Konsistenz ist fester als in Deutschland und erinnert eher an Schafskäse.
Warum das so ist? Man muss wissen, dass in der Ukraine viele Milchprodukte noch von den Bauern selbst hergestellt und direkt auf den Wochenmärkten verkauft werden. Für die Ukrainer ist es normal, ihren Schmand direkt beim Bauern zu kaufen, neben Speck und Eingemachtem.
Katharina: Als Sie mit 17 Jahren Ihre Heimat verließen, schenkte Ihre Großmutter Lilia Ihnen ein Büchlein mit ukrainischen Rezepten, damit Sie Ihre Heimat nicht vergessen. Welches Rezept haben Sie als Erstes nachgekocht?
Denis: Das erste Rezept war ein Eintopf nach Krim-Art. Das Gericht besteht aus Schweinefleisch, Kartoffeln und Äpfeln. Es schmeckt fruchtig und herzhaft.
Ich wundere mich zwar heute, dass das Familienrezept meiner Großmutter Lilia Schweinefleisch vorsieht, denn die Krimtataren essen eigentlich kein Schweinefleisch aus religiösen Gründen. Ich werde das daher noch mal recherchieren.
Dieser Eintopf nach Krim-Art markiert auch den Beginn meiner Kochkarriere. Ich jobbte damals im Café eines Freundes. Er suchte einen Koch und ich Arbeit. (Lacht)

Katharina: Sprechen wir über die Geschichte der ukrainischen Küche. Wo liegen die Ursprünge und welche Einflüsse sind besonders erwähnenswert?
Denis: Für mich liegt der Ursprung der Küche in der ukrainischen Steppe! Man muss die dortige besondere Atmosphäre erlebt und die Küche genossen haben, um sie zu verstehen.
Tatsächlich hat die Ukraine viele Einflüsse erlebt und es gibt daneben natürlich auch die moderne Küche. In meinem ersten Kochbuch 2014 hatte ich zum Beispiel ein Rezept für georgisches Schaschlik aufgenommen. In der Ukraine gibt es kein Sommerfest ohne diese leckeren Fleischspieße mit Granatapfelsirup.
Und um den Unterschied deutlich zu machen: Obwohl das Schaschlik in der Ukraine so weit verbreitet ist, nennen wir das Gericht weiterhin georgisch. Im Gegensatz zu Russland, das ukrainischen Gerichten ihre Identität abspricht. Diese russische Propaganda spiegelt sich übrigens auch in den Kundenrezensionen auf Amazon zu meinem Kochbuch wider.
Katharina: Eine ukrainische Besonderheit ist die „Sommerküche“. Was steckt dahinter?
Denis: Die Sommerküche ist eine Hütte. Sie befindet sich in der Nähe des Wohnhauses und wird im Sommer genutzt, damit sich das Wohnhaus nicht aufheizt. Sehr praktisch. Die Sommerküche ist typisch für den ländlichen Raum.
Aber sie dient nicht nur zum Kochen. Sie ist auch ein beliebter Treffpunkt für Verliebte. (Schmunzelt)
Katharina: Brot spielt in der ukrainischen Gesellschaft eine zentrale Rolle. Was können Sie uns darüber erzählen?
Denis: Brot ist in der Tat sehr wichtig. Es wird mit Sauerteig und Hefe gebacken. Ein Fladenbrot heißt Polianyzia und wird in der Pfanne gebacken.
Im aktuellen Angriffskrieg hat es eine andere, neue Funktion bekommen: An ukrainischen Straßensperren wurde es oft als Passwort verwendet. Wer sie passieren wollte, musste „Polianyzia“ sagen. Da Russen dieses Wort nur im Dialekt aussprechen können, war sofort klar, ob ein Ukrainer oder ein russischer Spion passieren wollte.

Katharina: Was werden Sie machen, wenn der Krieg vorbei ist?
Denis: Ja, was werde ich machen? Ich werde auf die Halbinsel Krim fahren, in die Stadt Jalta, wo ich vor 33 Jahren das letzte Mal war. Ich werde mich an den Strand legen und ein kaltes Bier auf den Sieg trinken!
Katharina: Vielen Dank und alles Gute!
Veröffentlicht im Mai 2023