Was waren wir begeistert von Carlo Bernasconis vegetarischen Kochbuch La cucina verde. Der Mann mit den vielen Begabungen und Leidenschaften – Restaurantinhaber, Autor, Chefredakteur, Verleger – hat sich dann aber Zeit genommen für sein drittes Kochbuch – und wir mussten uns gedulden. Dafür kann das süßes Thema wohl kaum mehr Verzücken auslösen. Ich wollte wissen, welche kulinarische Idee darüberhinaus hinter La cucina dolce steht.
Katharina: Carlo, in Deiner Einleitung von La cucina dolce outest Du Dich als jemand, der sein Essen fotografiert, besser gesagt sein Dessert. Nur dieses einzige Mal hättest Du zur Kamera gegriffen, schreibst Du. Warum dieses eine Mal?
Carlo: Ich halte es für sehr fragwürdig, solche Augenblicke höchsten Genusses fotografisch festzuhalten. In diesem Falle machte ich eine Ausnahme, weil die Komposition dieses Tiramisùs von Andrea Berton aussergewöhnlich war und ich es Kolleginnen und Freunden zeigen wollte. Im Übrigen war das eine ganz lustige Szenerie damals in Mailand. Ich verzichtete aufs Businnes-Menü-Dessert und wollte das im Bistro im Erdgeschoss angebotene Panettone-Tiramisù versuchen, weil ich das hin und wieder auch angeboten hatte (und immer verschmäht wurde, der kandierten Früchte wegen – stupid!), der Chef de Service aber meinte ein wenig indigniert, dass ich, wenn schon, Bertons Tiramisù-Kreation versuchen müsste. Ich bereue nicht, überredet worden zu sein.
Katharina: In Deiner Neuerscheinung geht es um die leckersten italienischen Süßspeisen. Was zeichnet die süße Küche der Italiener aus – auch in Abgrenzung zu anderen Küchen wie zum Beispiel der französischen?
Carlo: Keep it simple and stupid: KISS. Früchte, Eier, Zucker, Sahne, manchmal etwas Mehl, die Fantasie in Gang setzen, und schon ist das leckerste Dessert parat. Im Ernst: Die italienische Nachspeisenküche im Vergleich zu den Patîssiers de la Grande Nation ist nicht aufwändig, was für die Mehrzahl zutrifft. Sie lassen sich gut nach Rezept zubereiten und sie erlauben ein fröhliches Abweichen von der Rezept-Regel, ohne dass man dafür gleich mit Misslingen bestraft wird.
Katharina: Und welche Region steht für welchen Desserttyp?
Carlo: Viel Sahne und Butter im Norden, viel Früchte und Liköre im Süden. Eine vereinfachende Formel, ich weiss, gerade wenn man die Kunststücke der sizilianischen Pasticcieri anguckt. Aber, aufgepasst: Das sind Kreationen, die von zugewanderten Zuckerbäckern aus Graubünden eingeführt und vor Ort verfeinert wurden.
Katharina: Nach welcher geschmacklichen Balance suchst Du?
Carlo: Süsse und Säure sollten sich die Waage halten. Die Früchte möglichst unbearbeitet verwenden, also höchstens ein wenig aufzuckern (Erdbeeren, zum Beispiel), wenn sie einen sehr hohen Wasseranteil haben. Dann muss steif geschlagenes Eiweiss unter die Mascarpone-Crème, das ist molto essenziale. Und natürlich muss die Mascarpone frisch frischer am frischesten sein.
Katharina: Das Buch ist nach Basisrezepten, Früchten, Nüssen, Kastanie und Schokolade eingeteilt. Mal ehrlich: wer ist Dein Favorit und warum? … Doch sicher die Schokolade wie bei den meisten Männern?
Carlo: Ha, ich beziehe meinen Serotonin-Schub nicht aus der Schokolade, sondern beim Zubereiten der Nachspeisen. Ich habe keinen Favoriten, ehrlich gesagt, aber es ist schon so, dass ich immer wieder ein wenig herumexperimentiere und auf der Suche bin nach einfachen, leckeren Desserts, die aber dann von den Gästen – grosser Frust!!! – einfach abgelehnt werden. Schönes Beispiel: La Caprese in Bianca: Das ist ein neapolitanischer Schokoladenkuchen mit viel Ei, geriebenen Mandeln, Butter und vor allem weisser Schokolade. Lecker – aber die Gäste lassen die Finger davon, weil sie das Gefühl haben, als überfütterte Küchenschabe im Restaurant zu platzen, wenn sie ein Stück davon essen. Alles eine Frage des Masses, wie immer.
Katharina: Was war Dir bei den Dessertrezepten mit wichtig? Welche Kombinationen findest Du gelungen, was gar nicht?
Carlo: Wichtig ist: ein gutes bis sehr gutes Ergebnis in sehr kurzer Zeit erzielen – wenn’s in der Küche losgeht. Aber, Obacht: Die Wahl der Zutaten erfordert manchmal auch viel Zeit und ist für ein Dessert conditio sine qua non. Reif, schön und biologisch sollten die Früche sein. Und vor allem viel Aroma besitzen, und diese Früchte auf Anhieb zu finden ist nicht immer einfach. Der richtige Zeitpunkt entscheidet.
Katharina: Einige Rezept in Deinem Buch benötigen Alkohol wie Cognac oder Masala. Nun möchte nicht jeder zu viel extra anschaffen. Gibt es einen, den man quasi immer verwenden könnten?
Carlo: Nein, wozu? Ich sehe da keine Probleme mit der Menge: Marsala oder Cognac bleiben auch über Monate hinweg «stabil» und ohne Aromaverlust haltbar.
Katharina: Welches Rezept hat Dich als Rezeptautoren besonders gefordert?
Carlo: Keines, um ehrlich zu sein. Ich habe sie ausprobiert und für gut befunden, gut im Sinne: das kannst du den Lesenden seelenruhig anvertrauen, die kriegen das auch hin.
Katharina: Die Rezepte zeichnen sich wie auch bei Deinem vorhergehenden Kochbuch La cucina verde durch Homecooking-Qualität aus, nämlich dass die Zubereitungen machbar sind. Das ist nicht selbstverständlich für jemanden, der ein Restaurant führt. Mal ehrlich: Servierst Du so die Desserts Deinen Gästen oder gibt es dann noch Verfeinerungen?
Carlo: Ich denke, das schulde ich dem Erfolg von La Cucina Verde: Möglichst wenige Arbeitsschritte, kein komplizierter Rezeptaufbau, in einer Viertelstunde ist das Dessert zubereitet (dass es dann im Kühlschrank noch eine lange Weile verbleiben muss, bis es genussfertig ist, das gehört dazu). Zwischen den Nachspeisen im Buch und denen im Restaurant gibt es nicht die minimste Abweichung, höchstens bei der Dekoration der Desserts – und bei der Wahl des Dessertweins.
Katharina: Neben dieser Neuerscheinung gibst Du eine Reihe Büchlein in der Edition Cucina e Libri heraus unter dem Titel „Geschmacksbegegnungen“. Die erste ist zum Thema Apfel erschienen und zwar von der Autorin Christine Brugger. Was ist die Idee dieser Reihe?
Carlo: Kluge Bücher für Kluge Geniesser. Das wird kein Brüller im Sortiment, weil die Reihe sowohl den Experten als auch den interessierten Laien anspricht – und keine Rezepte enthält. Dafür geht die Sensorikerin Christine Brugger schön in die Tiefe und widmet sich ausführlich dem Food Pairing. Das ist nicht jedermanns Sache. Aber ich will ja nicht Rezepte kopieren, sondern etwas Neues wagen. Der Apfel ist ja eine der vertrautesten Obstsorten, aber in seiner Selbstverständlichkeit wird er fast übersehen.
Katharina: Welche neuen Einsichten hast Du mithilfe von Christine Bruggers Arbeit entdeckt?
Carlo: Dass man ihn mit vielen Früchten und Gemüsen, Fisch und Fleisch kombinieren kann – und dass dabei beide «Zutaten» an Aroma und folglich Genuss gewinnen.
Katharina: Welches Thema wird als nächstes erscheinen?
Carlo: Saisongerecht: Spargel. Und dazu von Donatella Maranta, der Zürcher Künstlerin, ihr zweites Kochbuch, das sie selber illustriert hat: Nicoletta – Tapas-Rezepte von Donatella Maranta. Ihr erstes machte unerwartet Furore und sprach schon mit dem Titel vielen Frauen aus dem Herzen: Pi mal Daumen…
Katharina: Du bist Koch, Autor und Kochbuch-Sammler. Was begeistert Dich an Kochbüchern?
Carlo: Sie sind eine unerschöpfliche Inspirationsquelle – viele Rezepte kenne ich zwar schon, denn ich beschränke mich auf die italienische Küche, aber ich kann beim Querlesen von Kochbüchern auf die Kombination von Zutaten gelangen, die ich vorher nicht angedacht hatte. Manchmal fehlt einem der Mut dazu. Manchmal ist man überrascht, dass es klappt. Beispielsweise Kalbfleisch mit Zitronenzedrat, kandierten Zitronen und Zitronensaft zu seriveren – die Balance von süss und sauer wird durch das Zedrat ein wenig neutralisiert beziehnungsweise verlängert. Und schon katapultiert man die stinklangweiligen Scaloppine al limone in eine andere Sphäre…
Katharina: Herzlichsten Dank!
Veröffentlicht im Mai 2013