Vier Sterne: Ein Kochbuch, das zufrieden macht.
90 Prozent der italienischen Erwachsenenbevölkerung, schreibt Lani Kingston, haben in einer Befragung angegeben, in den vergangenen 24 Stunden Kaffee („caffè“) getrunken zu haben. Was eine solche Umfrage bei uns ergeben würde? Fakt ist: Der durchschnittsdeutsche Filterkaffee hat – anders als Espresso – keinen Eingang in Kingstons Sammlung internationaler Zubereitungen gefunden. Fair enough – es geht schließlich anders.
Wir haben ein bisschen getüftelt bis zu unserem persönlichen Kaffeesetup: Angefangen mit einem einfachen Herdkännchen und einer Schlagmessermühle (Studentenbudget …), arbeiteten wir uns über etwas elaboriertere Mokkakännchen und eine bessere Mühle zu einer manuellen Espressomaschine mit State-of-the-Art-Grinder vor. Jetzt, da die Routine sitzt, sind es vor allem Röstungen, die Abwechslung bringen.
Kaffeespezialitäten? Specialty coffee!
Wir liegen damit im Trend, denn seit „Kaffeespezialitäten“ von Cappuccino bis Latte auch in den abgelegensten Backshops zu haben sind, genügt der fetteste Milchschaum und süßeste Sirup nicht mehr zur Distinktion. Specialty coffee meint inzwischen vielmehr: handverlesene Bohnen aus ausgewiesenen Anbaugebieten, die auf Maß geröstet, (frisch!) gemahlen und anschließend der passenden Zubereitung zugeführt werden. Nur: Obwohl sich das Spektrum dank dieser „dritten“ Kaffeewelle mit Spielarten wie Cold Brew, Siphon und Drip Coffee deutlich erweitert hat, bleibt die Sache an vielen Orten arg espressolastig.
Kingston, studierte Food-Journalistin, gelernte Pâtissière und geübte Barista, findet das schade: „Allzu oft gilt der Espresso als Inbegriff von Qualität, doch daneben gibt es zahlreiche andere hoch spezialisierte und kulturell bedeutsame Zubereitungsarten, die sich durch herstellerisches Geschick und ein aromatisches Endprodukt auszeichnen.“ Insbesondere dem letzten Punkt – der kulturellen Verankerung und Bedeutung von Kaffee – widmet sie sich in ihrem Buch. 19 Länder und Regionen hat sie dafür bereist, betrachtet und traditionsreiche Zubereitungen zusammengetragen.
Da wäre Kahawa, ein mit Kardamom, Zimt, Vanille, Ingwer und Zitronengras aromatisierter Filterkaffee, den sie in Tansania verortet, der ähnlich aber auch auf Sansibar getrunken wird. Oder „Es Kopi Apulkat“, eine Art Eis-Kaffee-Smoothie aus Indonesien, in dem Avocado Verwendung findet. Oder das jemenitische Qishr, ein Getränk, für das die Hülsen der Kaffeebohnen geröstet und aufgegossen werden und das man als „cascara“ auch in Lateinamerika kennt. Nicht umsonst heißt dieses Programm in der deutschen Übersetzung „In 80 Kaffees um die Welt“.

Ein Coffee-Coffeetable-Book
Dass diese Reise in der Kaffeetasse nach mehr schmeckt, liegt auch an ihrer Gestaltung: Obwohl viele verschiedene Fotografinnen und Fotografen ihren Beitrag geleistet haben, wirken die ganzseitigen Aufnahmen von den Getränken, ihrer Zubereitung und ihrer Umgebung aus einem Guss. Dazu die Aquarelle von David Sparshott, die das Basics-Kapitel durchziehen („Alles, was man über Kaffee wissen muss“). Ein optisch und haptisch wunderschönes Ganzes! Diese Wertigkeit bettet Kingstons Texte ein, in denen sie bewusst die Konsument/innen- und nicht die Produzent/innen-Perspektive einnimmt. Sie geht, Land für Land, auf die Besonderheiten des jeweiligen Getränks ein, seine Herkunft, Bedeutung und gibt minutiöse Hinweise zum Nachahmen in der eigenen Küche.
Oft bleibt das eine Annäherung, denn in vielen der Getränke stecken generationenlange Erfahrung und besonderes Equipment. Wer beispielsweise nicht über Cezve, einen türkischen Kaffeebereiter verfügt, Phin, um vietnamesischen Cà Phê herzustellen oder andere typische Filter oder Kannen, muss bei der Auswahl mit Einschränkungen leben. Ich habe mich darum vor allem auf die Getränke auf Espressobasis konzentriert. Damit komme ich geografisch nicht weit, erweitere meinen Horizont dennoch enorm: Normalerweise ist bei uns Milch(schaum) die einzige Ergänzung von Kaffee. Wenn man allerdings für kubanischen Cafecito einen ganzen Teelöffel Zucker geduldig mit den ersten Tropfen aufrührt, bevor man den übrigen Shot angießt, schlüsselt man ganz neue Aromen auf. Spannend!
Lani Kingston:
„Jede Kaffeeart hat im Laufe der Zeit und im Zuge ihrer Ausbreitung zahlreiche Varietäten ausgebildet. Generell wird der Begriff Sorte für Kaffeepflanzen verwendet, die gezüchtet, veredelt oder sonstwie durch menschliches Eingreifen verändert wurden. Eine Sorte ist also eine gezüchtete Varietät. Es existieren auch viele natürlich auftretende Wild- und Hybridvarietäten von Kaffee, doch werden diese zumeist nicht kommerziell angebaut.“
Erwartbar toll ist auch Bicerin, Turiner Trendgetränk aus dem 18. Jahrhundert, das gute, heiße Schoggi, Sahne und Espresso kombiniert. Einzig der spanische Café Leche y Leche, also Espresso/Cortado mit Kondensmilch und Milchschaum, bestand mir persönlich aus zu viel Milch und zu wenig Kaffee.
Was ich lerne: Es lohnt, die persönliche Koffeinroutine hin und wieder zu durchbrechen. Schließlich ist „Kaffee so etwas wie ein gemeinsamer Nenner, wenn wir etwas über Kulturen oder Zeiträume lernen, die nicht unsere eigenen sind – eine Art vertrauter Pfad durch das Unbekannte“, meint Kingston. Word!
Wie mögen Sie Ihren Kaffee? Schwarz und dicht und stark? Oder lieber milchig-sanft, als Flat White, Latte oder Cappuccino? Falls Sie Lust auf Abwechslung haben, halten Sie sich an Lani Kingston. Ihr Buch gilt Liebhabern und Abenteurerinnen in Sachen koffeinhaltiger Heiß- und Kaltgetränke, es „feiert Diversität und Innovation“. Und selbst, wenn man in der eignen Küche nicht jeder Spur folgen kann, weiß man doch, nach welcher Spezialität man auf Reisen Ausschau halten sollte.
Veröffentlicht im Januar 2023