Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Ein australischer Chefkoch mit spanischen Wurzeln begibt sich auf eine kulinarische Rundreise durch seine alte Heimat. Was er präsentiert, gefällt mir nicht nur optisch wegen wunderschöner Fotos von rauem Charme, die mit viel spanischer Eigenart daherkommen, sondern es sind vor allem die authentischen Rezepte, die Frank Camorra unterwegs gesammelt hat bei seinen Begegnungen mit Köchen wie mit einfachen Leuten. Wer wissen möchte, was Spanien außer Tortilla und Paella zu bieten hat, kommt hier voll auf seine Kosten.
Was für ein Schinken! Nein, nicht der auf Seite 110 ff. in Viva Espana. Sondern dieses Prachtstück von Buch, satte 3 Pfund schwer. Wer soviel Ibérico oder Pata negra kauft, wird schnell ein kleines Vermögen los. Ein solches Gewicht und ein entsprechendes Format bringen es mit sich, dass es unweigerlich Probleme gibt, will man das Buch neben dem Herd oder Kochfeld platzieren – mal ganz abgesehen von Fettflecken und Spritzern, die man einem edlen Kochbuch möglichst ersparen möchte. Allerdings würde das rustikale Design solcherlei Pannen leicht wegstecken, vielleicht sogar kongenial integrieren. Aber man wird ohnehin nicht gleich mit dem Buch an den Herd stürzen. Zunächst einmal ist gründliches Anschauen und Lesen angesagt. Die Fotos, vor allem die von Land und Leuten sind von einer auf das Wesentliche reduzierten herben Schönheit. Und auch die Abbildungen der Speisen sind selbst dann, wenn es sich um einen eher unscheinbaren Eintopf handelt, gelungen und Appetit anregend. Übrigens gibt es trotz der 368 Seiten nicht für jedes Gericht ein eigenes Foto, was ich schon bedauere. Bebilderte Rezepte haben nun mal bei mir größere Chancen, ausprobiert zu werden. Was jedoch bei keinem Rezept fehlt, ist eine kurze oder auch längere Einführung, oft kombiniert mit persönlichen Erlebnissen des Autors, die zum Charme des Buches nicht unwesentlich beitragen.
Unbekannte Rezept-Varianten
Die Familie des Autors Frank Camorra ist 1975, im Jahr als Diktator Franco starb, nach Australien ausgewandert. Er war damals gerade fünf Jahre alt. Vor ein paar Jahren kehrte er nun in sein Heimatland zurück, um für dieses Buch authentische Rezepte zu suchen, Klassiker ebenso wie Speisen, die nie in eine höhere Liga aufgestiegen sind, in ihrer Region aber eine eingefleischte Fangemeinde haben. Camorra beginnt seine kulinarische Vuelta in Madrid. Das mag verwundern, geht es ihm doch um die Landküche. Doch ähnlich wie in Paris sind in der spanischen Hauptstadt viele regionale Einflüsse spürbar, so auch bei den Tapas.
Rezepte für diese kleinen Köstlichkeiten gibt es inzwischen ja zuhauf. Umso mehr war ich erfreut, als ich hier auf etliche mir unbekannte Varianten stieß. Von ganz einfachen, wie den lustig arrangierten Spießchen mit Sardellen, Cornichons und Oliven, bis hin zu einer puristischen Oktopusterrine und einer pikanten Schweineleberterrine, die mir mit ihrem dreitägigen Herstellungsprozess allerdings zu aufwendig war. Aber die Tintenfischbällchen mit dicken Bohnen werden bestimmt demnächst auf meinem Küchenzettel stehen.
Da mein letzter Spanienurlaub mich an die Costa de la Luz geführt hat, war ich besonders gespannt auf das Kapitel über Jerez. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die Atmosphäre dieser zum Meer hin ausgerichteten und vom Weinbau geprägten Region wurde auf wenigen Seiten perfekt eingefangen. Bei den Rezepten hat es mir hier vor allem der geschmorte Tintenfisch mit Kichererbsen und Chorizo angetan, ein deftiges Gericht für die kältere Jahreszeit. Ein anderes Kapitel widmet sich der maurischen Vergangenheit Andalusiens. Süßschnäbel kommen an dieser Stelle voll auf ihre Kosten. Da mir der Himmelsspeck („Tocino de cielo“) mit seinen 16 Eigelben und Unmengen Zucker zu üppig erschien und ich mich an die Herstellung des Nugat („Turrón“) noch nicht herangewagt habe, entschied ich mich für die knusprigen Anisplätzchen („Tortas de aceite“). Ein sehr mürber mit Olivenöl bereiteter Teig bekommt dank der Fenchelsamen, Zimt und einem Schuss Anislikör einen ungemein würzigen feinen Geschmack.
Kochbuch als Rezeptsammlung oder Reiseführer
Ein ganzes Kapitel widmet Frank Camorra der Begeisterung der Spanier für ihren Schinken. Das einfache Schinken-Tomaten-Sandwich hat mir genauso geschmeckt wie die raffinierten Artischocken, die in einer Sherrysauce gegart und mit kleingehacktem Schinken kombiniert werden. Wichtig ist hier neben einem guten Sherry natürlich die Qualität des Schinkens. Obwohl ich Gemüseeintöpfe mag, bot mir die „Menestra de verduras“ (mit Artischockenherzen, Kartoffeln, Rosenkohl, Karotten, weißen Rüben, breiten Bohnen und Tomaten) doch etwas zu viel des Guten. Eine Beschränkung auf einige wenige Gemüse hätte auch die Vorbereitung vereinfacht.
Die Abstecher in den Norden an die Küsten Galiziens und des Baskenlands bringen reichlich Fischrezepte. Eine sehr gut sortierte Fischtheke ist Voraussetzung, um Spezialitäten wie gefüllte Krabbe (es handelt sich eher um Krebse) und baskische Fischsuppe auf den Tisch zu bringen. Aber es kommen auch spannende Zubereitungen von einfacher zu beschaffenden Meerestieren wie Kabeljau, Tintenfisch, Muscheln und Sardinen vor. Als ausgesprochener Fan von Oktopussen jeglicher Art war ich begeistert von den zahlreichen, oft recht ungewöhnlichen Rezepten in dem Buch. Da diese Weichtiere bei unsachgemäßer Garung ja zu einer gummiartigen Konsistenz neigen, war es mir wichtig, dass der Kochprozess möglichst präzise beschrieben wird. Ich wurde nicht enttäuscht.
Spanien ist lange, trotz der glorreichen Vergangenheit, trotz allem Gold und Silber, das die Konquistadoren in Amerika erbeuteten, ein bitterarmes Land gewesen, was sich naturgemäß auch in der Küche widerspiegelt. Gerade die auf den ersten Blick oft unscheinbaren Gerichte waren es, die mich in diesem rundum gelungenen Buch besonders angesprochen und nicht selten begeistert haben. Die Zubereitung der 130 Rezepte wird ausführlich und genau beschrieben und dürfte bis auf wenige Ausnahmen erfahrene Hobbyköche vor keinerlei Probleme stellen. Von einigen wenigen Ausreißern abgesehen lässt sich alles in einem akzeptablen Zeitrahmen bewerkstelligen. Übrigens: Wer, aus welchem Grund auch immer, keines der Rezepte auf den Tisch zaubern mag/kann, dem empfehle ich, das Buch als kulinarischen Reiseführer zu benutzen.
Veröffentlicht im September 2010
Das ist schade. Hast Du es antiquarisch versucht? Ja, mit der Roden kann ich das verstehen.
Leider ist das Buch nicht mehr lieferbar. Das Buch von Claudia Roden gefällt mir nicht so gut.
Alajores schmecken wirklich köstlich, ob nun mit oder ohne Sesam und Anis. Man kann sie das ganze Jahr über genießen, bei mir hat die nicht gerade kleinliche Menge von Nelken, Zimt und Honig unwillkürlich weihnachtliche Assoziationen geweckt. Sicherlich kann man auch mehr Mandeln in den Teig geben als im Rezept vorgesehen.
Die Camerones habe ich schon einmal in den Andalusien gegessen. Waren toll. Aber sind wohl kaum außerhalb des Landes zu beziehen, oder? Ich finde es immer hilfreich, wenn die Autoren eine Alternative angeben.
Wenn das Rezept für Alfajores in dem Kochbuch “Viva España” lediglich die o.g. Zutaten vorsieht, dann ist es kein Originalrezept, weil die typischen Zutaten fehlen. In Alfajores, die keine Gewürzkuchen sind, sondern Mandelrollen, gehören unbedingt Anissamen und Sesamkörner sowie reichlich Honig. Sultaninen und getrocknete Feigen oder Sherry findet man nicht in den echt andalusischen Alfajores. Alfajores sind übrigens kein Weihnachtsgebäck, sondern werden in Andalusien das ganze Jahr über gegessen.
Zu den Tortillitas de camarones: Camarones sind winzige Sandgarnelen, die nicht gehackt werden. Gehackt werden kleine Gambas, die man als Ersatz nehmen kann. Der Teig für diese Tortillitas ist genau richtig, wenn er , wie ein Crepeteig, in der Pfanne zerläuft. Die Tortillitas sind hauchdüunn (viel dünner als eine Tortilla) und werden in viel Olivenöl ausgebacken.
Gruss
Margit Kunzke
Hört sich supergut an! Die gefüllten Pimientos probier ich sofort aus!
Toller Tipp. Macht Lust auf Mehr. Gibt es zu jedem Rezept ein Foto? Ich brauche ja immer den optischen Reiz bei der Rezeptauswahl und finde es immer schade, wenn nur wenige Rezepte bebildert sind…
Nein, leider nicht zu jedem. Food-Fotos sind tatsächlich der Schlüssel-Reiz – vor allem, wenn ich Hunger habe. Ich stelle bei mir fest, dass ich immer mit den bebilderten Rezepten beginne und dann mit Vertrauen ausgestattet zu den unbebilderten gelange. Du liest, ich will Dir Mut machen. 🙂