Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Wir können es kurz machen: Dieser sechste Ottolenghi – der erste ausschließlich süße – ist nichts als grandios. So und nicht anders muss ein Backbuch sein – was zu erwarten war.
Zumindest, wenn man Erwartungen hat. Ich hatte: Keine Ahnung. Weder wusste ich, dass ein gewisser Yotam O. einmal ganz klein angefangen hat, als – bitte verzeihen Sie diesen Kalauer – Schaumschläger in einem Londoner Spitzenrestaurant, wo er Abend für Abend für Eischneenachschub sorgte, noch hatte ich eine Idee davon, was die Dessertabteilung seines eigenen Restaurant- und Cateringimperiums inzwischen zu bieten hat.
Yotam Ottolenghi kochte in meiner Vorstellung ausschließlich – und das orientalisch. Was zeigt, wie weitgehend unbeleckt ich bin, was diesen Foodie-Liebling angeht: Hier mal ein Essen aus seiner Guardian-Kolumne, da mal ein Interview – aber der fünfstöckige Bücherturm, für den „Otto“ in vielen Küchen verantwortlich ist, fehlt mir bislang. Diese seine süße Buchpremiere ist auch meine.
Mit Akribie und Herzblut
Ich weiß nicht, ob mich das jetzt zu einer besonders schlechten oder besonders guten Kandidatin macht, um „Sweet“ zu besprechen. Eine besonders schlechte, weil mir ohne seinen Hinweis eben nicht auffallen würde, dass das Rezept für den Apfel-Olivenöl-Kuchen bereits in „Plenty“ bzw. „Genussvoll vegetarisch“ erschienen ist (wenn auch ein wenig anders) und ich auch nicht sagen kann, ob er an alle vorherigen fünf Buchprojekte mit derselben Akribie herangegangen ist, wie an diese erste Koproduktion mit seiner Lieblings-Patissière Helen Goh (links ein Foto von den beiden). Eine besonders gute, weil ich mich von all dem überraschen lassen kann und mir kein Anspruch den Blick verstellt.
Drei Jahre Entwicklungszeit haben „Otto“ und Goh in den 368-Seiter gesteckt. Drei Jahre Sammeln, drei Jahre Sichten, Testen, Texten. Anderthalb Kilo (!) Buch sind das Ergebnis – die es in sich haben: Man sei kurz davor gewesen, dass ganze „Zucker“ zu taufen, schreiben die beiden im Vorwort, habe es sich dann aber doch anders überlegt – aus Gründen: „In einer unbeständigen Welt der Foodtrends steht man einem ständig wechselnden ‚Staatsfeind Nr. 1‘ gegenüber: Eier, Fett Kohlenhydrate […].“ Warum also einem dieser vermeintlichen Widersacher guter Gesundheit im Titel den Vorzug geben?
Eine besondere Backschule
Und sie halten Wort: Süß sind sie, ihre Kekse, Kuchen und Desserts. Oft landen Zucker und Mehl im Verhältnis 1:1 im Teig – was für deutsche Gaumen jenseits der Grundschule durchaus gewöhnungsbedürftig ist. Beim Nachbacken bin ich schnell dazu übergegangen, die Zuckermenge zu halbieren – gefehlt hat uns nichts. Im Gegenteil: Die gran-di-osen Spekulatius wurden in unserem Zwei-Mann-Haushalt binnen kürzester Zeit zwei Mal vernichtet und dürfen ab sofort in keiner Adventszeit mehr fehlen. Das Erdnuss-Sandgebäck ist das erste seiner Art, das mich nachhaltig überzeugt, und auch die Mandel-Pistazien-Plätzchen mit Sauerkirschen hat es hier sicher nicht zum letzten Mal gegeben.
Was zum einen daran liegen dürfte, dass Aufwand, Optik und Geschmack aller Rezepte in idealem Verhältnis zueinander stehen. Yotam und Helen präsentieren in sieben Kapiteln größtenteils Alltagsgebäcke, die nach einem vertretbaren Maß von Zeit und Zutaten verzehrfertig sind und trotzdem immer ein bisschen besonders: Sei es, weil für die süße Küche ungewöhnliche Zutaten wie Rote Bete oder Fünf-Gewürze-Pulver eine Rolle spielen, sei es, weil Yotams israelische Wurzeln durchschlagen (Brownies mit Tahin und Halva) oder Helens malaysische (Ananas-Tartelettes mit Pandan und Sternanis). Auf den vielen (!) Fotos werden ihre Genüsse entsprechend inszeniert: schlicht – und doch verführerisch. (Foto links: Luisenkuchen mit Pflaumen und Kokos)
Zum anderen sind es die ausführlichen und idiotensicheren Anleitungen, die überzeugen – weil sie weder mit Zwischen-Konsistenz- und Aussehensbeschreibungen geizen, noch mit Tipps zum Vorbereiten, Formen und Verzieren, Allergen- und Austauschhinweisen und optimalen Lagerbedingungen (Haha: A moment on the lips …). Alles übrigens bestens übersetzt – fettes Lob an Regine Brams, Susanne Kammerer und den Dorling Kindersley Verlag!
Sweets for my sweet …
Zum Weiterlesen
Leseprobe beim Verlag
Website von Yotam Ottolenghi
Helen Goh bei Instagram
Mehr von Yotam Ottolenghi bei Valentinas
Ich ahne: Wer sich konzentriert durch alle 110 Rezepte und das umfangreiche Tipps-und-Tricks-Kapitel arbeitet, dürfte hinterher nicht nur ein/e wesentlich besser/e Bäcker/in sein, sondern auch viele neue Freunde haben. Denn – sweets for my sweet: Das Zeug ist zum Teilen da. So haben es diejenigen getan, die Yotam und Helen einige der Rezepte überließen, was man in den liebevollen Präambeln nachlesen kann, so tun „Otto“ und Goh es täglich in ihren Restaurants und Shops in London – und mit diesem Backbuch ab sofort in vielen Küchen der Welt.
Fans dürfte die Güte von „Sweet“ nicht überraschen – allen anderen sei es nur empfohlen: Ein sorgfältigeres, sympathischeres und leckereres Backbuch ist mir lange nicht untergekommen. Große, große Liebe!
Veröffentlicht im März 2018
Sweet braucht ja eigentlich keine weiteren Kommentare, aber ich habe heute den Marzipan-Kuchen mit gebackenen Pflaumen gemacht, allerdings ein bißchen anders, nämlich aus dem Teig kleine Küchlein gebacken und die Pflaumen püriert umd die Küchlein drapiert. Die Pflaumen habe ich mit dem Sud und einer gehörigen Portion Puderzucker püriert.
Der Teig ist göttlich, dementsprechend die Küchlein, die Backzeit ist sicher zu lang, also lieber früher aus dem Backofen holen, dann ist der Kuchen total saftig. Ein schönes Rezept, ich bin nur drauf gekommen, weil mein Mann Marzipan-Fan ist 🙂
Ich finde die gebackenen Pflaumen aus dem Rezept mit dem Marzipankuchen so lecker, dass ich die Pflaumen schon ganz oft so zubereitet habe, ohne den Kuchen!!! Habe ich gerade dieses WE nochmal gemacht.
Ich stimme der Buchkritik und auch der Vorkommentatorin voll und ganz zu – stelle jedoch gerade fest, dass die Keksteige zum Ausrollen (für die Lebkuchentaler z.B. – der Hammer übrigens und super als Weihnachtgebäck geeignet) laut Rezept gar nicht oder nur kurz gekühlt werden. So funktioniert aber das Ausrollen und Ausstechen nur suboptimal, weswegen ich den Lebkuchenteig ca. 3 Stunden gekühlt habe. Geht hervorragend. Genauso werde ich es mit dem Spekulatiusteig machen (bzw. ihn einfach bis morgen Abend in Kühlschrank lassen 🙂 )
P.S. Die Physalis-Pawlowa kann man übrigens auch mit Rumtopffrüchten machen… 😉
Ah, was für ein Zufall. Genau die weihnachtlichen Rezepte gefielen uns auch besonders gut. Die gehen bald live.
Auf meinem Plan stehen noch die Amaretti mit Orangenblütenwasser, mal ne andere Eiweißverwertung als immer nur Kokosmakronen 😉
Hach, da ist sie endlich, die Rezension zu „Sweet“,
danke, liebe Charlotte!
Und ich stimme Dir Wort für Wort zu: auch mir ist ein so oppulentes und gleichzeitig so sorgfältiges Backbuch lange nicht untergekommen. Ich habe das Gefühl, dass hier nichts dem Zufall überlassen wurde. Die Backzeiten z.B. stimmen quasi auf die Minute. Und jedes Rezept hat einen besonderen „Pfiff“, z.B. Sternanis im Keksboden, der so wunderbar mit der Passionsfrucht im gleichnamigen Cheesecake harmoniert, oder Halva + Tahin im Brownierezept. Und für die Hafer-Cookies mit Cranberries bleiben künftig meine geliebten IKEA-Haferkekse im Regal stehen (sorry, IKEA!).
Nun, dass das ganze zuuuuu süß daherkommt, finde ich trotz anfänglicher Skepsis nicht, aber Du hast recht – ein paar Gramm Zucker kann man sicher hier und da weglassen.
Ostern wird es bei mir die Creme Caramel mit Ingwer geben, und ich mache mir überhaupt keine Gedanken, dass sie nicht gelingen könnte 🙂
Also, Euch allen ein fröhliches Osterfest!
Gritt
Liebe Ingrid, herzlichsten Dank für Deine Zeilen. Für Dich auch schöne Tage!