Drei Sterne: Hat Stärken, aber überzeugt nicht ganz.
Nadiya Hussain, Londonerin mit Bangladesh-Wurzeln, gehört zu den spannenden Persönlichkeiten des kulinarischen Zirkels in Großbritannien. Die Autorin, TV-Köchin mit Netflix-Serien und gefragter Gast in Talkshows ist laut BBC eine der einflussreichsten Frauen auf der Insel.
Den Anfang nahm ihre wenig planbare Karriere mit der Teilnahme als Kandidatin der 6. Staffel der Show The Great British Bake Off im Jahr 2015. Hussain trug damals einen schwarzen Hijab, der das mädchenhafte Gesicht der damaligen Vollzeitmutter von drei Kindern einrahmte und ihre lebendige Mimik unterstrich. Wenn Cake-Ikone Mary Berry und Bäcker-TV-Prominenz Paul Hollywood als strenge Jury dann Hussains Backwerke in Augenschein nahmen, dann erwartete die Zuschauer:innen ein besonderer Moment. Jedes Gefühl der Kandidatin wurde sichtbar – ich litt und freute mich mit ihr.
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Das Faszinierende für mich war der Mix: Hussains Können, ihr natürlicher Charme, aber auch ihr braves Erscheinungsbild, das so gar nicht ihre Leidenschaft für absolut poppige Backwerke vermuten ließ. Besonders eine Kreation blieb mir in Erinnerung: ein Cheesecake mit einer Getränkedose, aus der sich eine Flüssigkeit über den Kuchen ergoss. Ein statisches Wunder. Aber bitte: Wer will das essen? Das hätte mir ein Fingerzeig sein können. Aber dazu später.
Hingucker-Rezepte
Heute ist Nadiya Hussain Entertainerin und Kreative. Ihr Zauber ist ein wenig der Professionalität gewichen. Dem Beginn ihrer Karriere ist sie dabei treu geblieben. Backen sei bei all ihren Tätigkeiten immer noch ihr Zuhause „Ich lebe es, atme es, ich rühre, wiege ab und backe. Was soll ich sagen, ich träume davon“, schreibt sie im Vorwort zu ihrem Backbuch Nadiyas Backwelt, das mir vorliegt.
Bei der Rezeptauswahl sei für jeden und für jeden Anlass etwas dabei, versichert sie. Offensichtlich ist vor allem deren Eyecatcher-Qualität, stelle ich beim ersten Reinlesen fest. Den Auftakt macht eine marmorierte grüne Matcha-Kiwi-Biskuitrolle. Gleiches gilt für den üppigen Obstauflauf in einem reichhaltigen Schokoladen-Kokos-Teig, getoppt von Eiscreme und ebenfalls üppiger Schokoladensauce.
Hm!
An anderer Stelle leuchtet ein Napf-Hefekuchen mit Pekannussfüllung, dekoriert mit eingefärbten grün-gelben Kokosraspeln. Dazwischen gibt es auch klassische Momente mit bretonischen Butterkuchen und Cornish Splits. Die nicht bebilderten Rezepte fallen schließlich in die Kategorie Nice-to-have. Summa summarum erwarten die Leser:in 100 Rezepte in acht Kapiteln, übersichtlich und ansprechend in Szene gesetzt. Eingerahmt durch eine bemerkenswerte Fusion vieler kulinarischer Traditionen und Trends.
Ich bin gespannt auf den Geschmack. Nur welches Rezepte soll das erste sein? Ein Hingucker-Projekt? Eine sichere Bank? Ich entscheide mich für eines dazwischen: kreativ, aber nicht zu aufwendig – erst mal Vertrauen fassen. Die Wahl fällt auf das bildhübsche Zimtbrot mit Kardamommarmorierung und einem Überzug aus Kakao. Das Rezept ist gut und klar geschrieben. Statt Gehzeiten wird gleich Augenmaß angegeben. Aber gerne hätte ich erfahren, warum Trockenhefe in den Überzug kommt. Geschmacklich: Trotz bestem Mehl und Zutaten seltsam uninspiriert, da weder süß noch herzhaft, sondern blass würzig. Die Teigstruktur grob und nicht fluffig. Keiner wollte mehr als ein Stück.
Es folgt die Rösti-Quiche. Das Interessante daran: Der Teigboden besteht aus einem Röstiteig. Schmeckt das? Leider nein. Er gelang trotz Vorbackens und Eiglasur nicht ausreichend kross, sondern matschig. Die etwas langweilige Füllung tröstete nicht darüber hinweg. Die Kartoffeln bringen trotz Ausdrückens für einen Tarteboden zu viel Feuchtigkeit mit, so meine Einschätzung.
Geschmack?
Der Rezension zuliebe habe ich weitere Rezepte probiert. Normalerweise hätte ich das Buch an dieser Stelle weggelegt. Dabei wurde mir zunehmend klar, dass Hussains zentrale Backwerke von einem Überraschungsmoment der Optik leben. Man könnte es auch Effektbäckerei nennen. Darin gründete sich auch ihr Erfolg in The Great British Bake Off.
Nadiya Hussain:
„Backen ist meine große Liebe. Dieses Buch ist eine Sammlung all der köstlichen Ideen, die in meinem Kopf herumschwirren. Es hat für jeden etwas zu bieten und zu allen möglichen Anlässen.“
Dabei scheint die Frage in den Hintergrund zu treten, wie gut das kreative Backwerk schmeckt? Das ist natürlich auch subjektiv und hängt davon ab, was man sich als Leser:in wünscht: ein Hingucker für das aufregende Buffet oder ein Rezept für die Ewigkeit?
Nadiyas Backwelt ist ein Backbuch, das sich spannend liest – wegen seiner kreativen Ideen und der Person Hussain. Auch positiv ist, dass die Rezepte mit Sorgfalt ausgearbeitet wurden und klappen. Ob diese auch geschmacklich überzeugen, das wird jeder für sich beurteilen müssen. Mein Fazit: liebenswerte Autorin, Eyecatcher-Rezepte, aber der Genuss? Na ja.
Veröffentlicht im Mai 2022