Fünf Sterne: Valentinas Liebling – zum Schwärmen gut.
Die Auslagen der besten Bäckereien Europas hat die Wahl-Berlinerin Laurel Kratochvila in einem Buch zusammengefasst: von klassischem Sauerteigbrot bis zu süßen Plunderteilchen. Dabei wirkt die Auswahl keinesfalls beliebig.
Ein dunkelblaues Cover, darauf goldglänzende Croissants, die, lägen sie in einer Bäckerei-Auslage, sofort in den Laden ziehen würden. So würde ich auch im Regal eines Buchladens sofort nach diesem Exemplar greifen, das zurückhaltend und gleichzeitig selbstbewusst „Neues Backen“ zum Titel hat. „99 Backrezepte aus ganz Europa“, verspricht das Cover noch, „von Roggenbrot bis Rugelach“.

Dabei wäre auch „Von Focaccia bis Flan“ oder „Von Bialys bis Baklava-Plunder“ ein guter Untertitel gewesen. Oder auch „Von Kanelbullar bis Krautrolle“, „Von Challa bis Chaussons aux pommes“. Brot helfe einem dabei, herauszufinden, in welchem Kulturkreis man sich befinde, schreibt Autorin Laurel Kratochvila (Foto links) in ihrer Einleitung – man müsse nur in eine Bäckerei-Auslage schauen, um zu wissen, in welchem Land man sich befindet.
Viel gereist, viel gesehen, viel gelernt
Sie selbst hat viele Länder bereist, ehe sie sich in Berlin mit ihrem „Fine Bagel“-Laden selbstständig machte. Mit 23 stand Laurel Kratochvila zunächst als Barfrau in Prag hinter der Theke. Wenn sie morgens um halb fünf durch die nebligen Straßen nach Hause ging, begegnete sie nur Bäckern, die meist im Erdgeschoss von Wohnhäusern ihre Backstuben hatten. „Meine Lieblingsbäckerei hatte ein Fenster direkt zur Straße, an das ich klopfen konnte, wenn der Laden noch nicht offen war, um von den weißbekleideten Bäckern für ein paar Groschen ein rohlik zu kaufen, das wunderbar nach Hefe duftete“, erinnert sich Laurel Kratochvila.
Von der Bar wechselte sie schließlich in eine Prager Buchhandlung, heiratete später den Buchhändler und zog mit ihm nach Berlin. Ihre Idee, dort eine neue Buchhandlung zu eröffnen, scheiterte – so fliesten sie ihre Abstellkammer, stellten einen Ikea-Backofen und eine Kaffeemaschine rein und Laurel begann zu backen. Mandelbrot, Challa und Bagels – aus Heimweh, wie sie schreibt.
Das Konzept – durchdacht und vielschichtig
Für eine zweijährige Bäckerausbildung zog sie schließlich ins Loire-Tal und lernte Kolleg:innen aus ganz Europa kennen. Einige von ihnen sind in diesem Buch vorgestellt. Ihr Werdegang ist so inspirierend wie der der Autorin selbst: Laurel Kratochvila porträtiert Menschen, die fürs Bäckerhandwerk brennen – und schon für diese Porträts lohnt sich dieses Buch.
Es lohnt sich auch für all die Grundtechniken und Grundteige, die in ihm versammelt sind: Ob Sauer-, Mürbe-, Plunder-, oder Blätterteig – alles ist mit gut nachvollziehbaren Step-by-Step-Fotos bebildert, dazu stehen Knet- und Formtechniken immer genau an der Stelle, an der man sich gerade fragt: Wie soll ich eine „Boule wirken“?
Vor allem aber lohnt sich dieses Buch für die wunderbaren Rezepte aus ganz Europa, die Laurel Kratochvila zusammengetragen und vereinheitlicht hat: Statt ständig neue Backtechniken lernen zu müssen, greift sie beim Brot stets auf den Topf zurück, setzt ihren Briocheteig in verschiedenen Varianten ein.
Laurel Kratochvila:
„Bis vor Kurzem war die Bäckerzunft eine Männerdomäne. Das Bäckerhandwerk gehört nun zu den letzten Lebensmittelbranchen, in denen endlich auch Frauen in Erscheinung treten. Die wiederbelebte Begeisterung für Regionales und Saisonales bricht mit verkrusteten Traditionen. Nicht zum ersten Mal werden Innovationen gerade von jenen in Gang gesetzt, die lange Außenseiter waren.“
Gebacken habe ich ein saftiges „Weiches Vollkornbrot“ – ein „Pain complet“, wie es in Frankreich viel gebacken wird. Die „Saatenbrötchen mit Backpflaumen“ haben ihre Tradition in Dänemark und schmecken laut Kratochvila am besten mit gesalzener Butter und Comté, vor allem aber: noch warm aus dem Ofen. Das kann ich bestätigen.
Must have-Backbuch
Gleich zweimal hintereinander habe ich das Roggenbrot aus der Auvergne gebacken – weil es so wunderbar einfach und gleichzeitig so schmackhaft ist. Auch die Fougasse, die Laurel Kratochvila mit Salzzitronen, Oliven und Kapernäpfeln anreichert, schmeckte köstlich. Und dann erst das Sesam- Dattel-Challa …
Doch nicht nur Brotbäcker:innen kommen hier auf ihre Kosten: Auch wunderbare Plunderteilchen, Tartes und Schnecken sind in den hinteren Kapiteln aufgeführt, herzhaft gefülltes Gebäck genauso wie wunderbar süßes. Sogar ein paar Plätzchen haben es unter die Top-99-Rezepte geschafft.
Noch keinen Sauerteig im Kühlschrank? Dann back dieses Buch einfach von hinten nach vorn. Oder lies all die inspirierenden Geschichten von Bäcker:innen, die ihr Handwerk auch irgendwann gelernt haben. Dieses Buch macht Mut, mit dem Backen anzufangen. Und es inspiriert all jene, die schon länger dabei sind. Ein umfassendes Buch, ein außergewöhnliches Buch.
Veröffentlicht im Dezember 2022
Ein tolles Buch, ich bin begeistert über die Zusammenstellung der Rezepte. 2 habe ich inzwischen nachgebacken. Dabei ist mir aufgefallen, dass sich bei den Mengenangaben wohl einige Fehler eingeschlichen haben. Bei beiden Rezepten, die ich nachgebacken habe gibt es aus meiner Sicht (Übersetzungs-?)Fehler. Bei den Saatenbrötchen mit Backpflaumen werden 50g Backpflaumen als Zugabe angegeben. Das waren bei mir gerade einmal 5 Pflaumen – deutlich zu wenig aus meiner Sicht. Ich habe dann 150 g verwendet. Bei der Focaccia wird italienisches Typo 00 Mehl durch Weizenmehl 1050 ersetzt. Das ist sehr ungewöhnlich, da dies zwei grundsätzlich sehr unterschiedliche Mehle sind. Ich habe es trotzdem probiert – man weiß ja nie. Das Ergebnis war eher ein festeres Blechbrot – nicht unlecker aber keine Focaccia. Hier müsste wohl 550-er Weizenmehl benutzt werden. Ich hoffe, dass sich diese Fehlerquote nicht fortsetzt in diesem tollen Buch.
Lieber Karsten, dank Dir herzlichst für Deine wichtigen Hinweise. Das klingt nach einer sehr unleckeren Focaccia. Ich hoffe auch, dass das Ausreißer waren. Herzlichst Katharina