Zwei Sterne: Begeisterung sieht anders aus.
Himmlische Kuchen verspricht der Titel, eine wunderhübsche Pistazientorte mit Ombré-Effekt ziert das Cover. Der englische Originaltitel Naked Cakes ist da profaner. Nackte, also unverhüllte Kuchen sind das Ziel, die einzelnen Böden sollen deutlich erkennbar sein, besonders bei den eingefärbten Varianten darf nichts den Blick auf die Konstruktion verhindern. Das klingt prima, also stürze ich mich rein ins Backvergnügen. Doch ach: schon beim ersten Versuch vergeht mir die Lust am Backen. Teig zu fest, Füllung nur süß, von drei verschiedenen Teigen hat nur einer Geschmack.
Erster Eindruck: bei den Kreationen geht es Hannah Miles vor allem ums Aussehen. Der Zitronenkuchen wird doch tatsächlich mit gelber Lebensmittelfarbe gefärbt (Zitronenschale kommt auch rein, der Ombré-Effekt jedoch wird durch die Farbe erzeugt). Wie wäre es mit Safran oder Kurkuma? Oder mit grünem Minzsirup in der Minztorte? Und dann die Rote Samttorte (Red Velvet): hier kommt rote Farbe zum Einsatz, rote Bete wird nicht mal als Variante erwähnt. Aber es fehlt der Hinweis, dass der erwünschte Farbeffekt eigentlich nur zustande kommt, wenn man das passende Backpulver und einen Kakao verwendet, der keine alkalisierenden Stoffe enthält. Und den findet man in Deutschland nur selten, selbst im Bioladen. Wer sich für die chemischen Hintergründe interessiert, kann sich hier schlau machen.
Fast immer werden Rührteige verwendet, selten wird der Teig mit gemahlenen Mandeln und anderen Extras aufgewertet. Dazwischen findet man zwei Biskuitrollen, einen zweistöckigen Cheesecake, eine Baisertorte, einen Angelcake und eine Brandteigpyramide (Croque-em-bouche). Obenauf kommt meist Puderzucker, dazu frische oder getrocknete Früchte oder Blüten. Blüten sind ganz wichtig bei Hannah Miles, häufig werden sie kandiert, manchmal auch nur getrocknet. Meist zieren sie die Oberfläche, manchmal sind sie Teil der Füllung oder des Teigs. Leider schmeckt man davon nichts. Denn die ‚Füllung‘ besteht in der Regel aus Crème double (oder einer Mischung aus Mascarpone und Sahne), manchmal auch nur aus Puderzucker plus Butter und etwas Milch (also einem klassischen Frosting).
Wenig Handfestes von der „Queen of Cakes“
In ihrer englischen Heimat wird die Autorin „Queen of Cakes“ genannt und twittert unter dem Namen #puddingqueen (im Englischen bedeutet ‚pudding‘ soviel wie ‚Nachtisch‘). Bekannt wurde die Anwältin aus Bedfordshire durch ihren Sieg bei der englischen TV-Kochshow MasterChef im Jahr 2007. Seither hat sie 15 Kochbücher veröffentlicht, unter anderem über Käsekuchen (bzw. Cheesecakes – siehe Rezension auf Valentinas), Sundaes und Whoopie Pies.
Bei all der Erfahrung erwarte ich von der Autorin handfeste Tipps und Tricks. Am Anfang des Buchs findet sich zwar eine Doppelseite zum Thema ‚Tipps und Techniken‘. Hier werden die Grundrezepte für die Rührteige mit 2 bis 6 Eiern in einem kleinen Kasten abgehandelt, ansonsten geht es um Optik und Dekoration. Doch nirgends wird erklärt oder gar gezeigt, wie man die Ränder von mehrstöckigen Backwerken so sauber hinbekommt wie auf dem Coverfoto. Dass man die einzelnen Böden nach dem Backen plan schneiden sollte, merkt man spätestens dann, wenn das mehrstöckige Bauwerk zum Schlumpfhaus mutiert. Kleinere Schichtkuchen werden meist ausgestochen, für die Resteverwertung empfiehlt die Autorin Cake Pops – ein Rezept dafür bleibt sie schuldig.
Begeisterung sieht anders aus
Insgesamt backe ich fünf Kuchen, um etwas Abwechslung zu erzielen wähle ich verschiedene Grundrezepte. Die Ergebnisse sind optisch meist gelungen, geschmacklich jedoch enttäuschend. Zum Glück gibt es einige Geburtstagsfeiern, auf denen ich willige Kuchentester finde. Die Reaktionen sind verhalten, am besten schneiden die Brownies und der salzige Honigkuchen ab. Ausgerechnet! Da hatte ich nämlich einiges verändert.
Das Buch an sich ist schön gestaltet, auf 142 Seiten werden insgesamt 59 Rezepte auf je einer Doppelseite präsentiert. Die sechs Kapitel tragen ansprechende Überschriften (Romantik-Look, Raffinierte Schlichtheit, Klassische Eleganz, Rustikale Kuchen, Dramatische Effekte, Jahreszeiten), die Bilder sind appetitlich, leider sind die Ergebnisse alles andere als himmlisch. Die inflationäre Verwendung von Farbgel hat wohl auch auf die Übersetzerin abgefärbt: sie verlangt beim ‚Kuchen mit Rosen und Veilchen‘ (englisch: violet) nach einer ‚Violetten Ganache‘. Dabei kommt hier ausnahmsweise keine Farbe rein, nur Veilchenlikör.
Viele hübsche Ideen, leider wenig Neues, was den Geschmack angeht. Kaum Anregungen zur Kombination von Aromen. Die hier verwendeten Rührteige sind sehr kompakt und eignen sich schlecht für mehrstöckige Torten. Die wahlweise sahnigen oder zuckrigen Füllungen verwandeln die Mehrzahl der Kreationen in fade Kalorienbomben.
Veröffentlicht im Juli 2016
Danke, ich bin gewarnt. Wie immer super geschrieben. Sonnige Grüße Alexandra 😁
Das wird Katja freuen.